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Kein zurueck mehr

Kein zurueck mehr

Titel: Kein zurueck mehr
Autoren: Swati Avasthi
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um wählerisch zu sein. Ich rede nicht. Ich esse nur und denke.
    Unsere Familie war in zwei Lager unterteilt: Christian und Mom, ich und Dad. Deshalb hat Christian auch nicht gedacht, dass Dad sich an mir vergreifen würde. Ich hab nie so viel abbekommen wie Christian, vielleicht weil ich Dads Liebling war. Christian musste in die Notaufnahme, wegen gebrochenen Fingern – einer nach dem anderen – (eine Kneipenschlägerei war die Ausrede, auch wenn er gerade mal sechzehn war), wiederholtem Erbrechen nach einer Gehirnerschütterung (Ausrede: Er ist die Treppe runtergefallen); und einmal musste er sogar ein Hauttransplantat bekom-men, nachdem Dad seinen Arm auf eine Herdplatte gehalten hatte (an die Ausrede dafür kann ich mich nicht mehr erinnern).
    Drei Pfannkuchen und ein großes Stück Kassler später hört mein Magen endlich auf mich zu nerven. Das Blut weicht aus meinen Beinen und Armen und strömt in meinen Bauch. Ich komme schwer hoch, stütze meine Hände in das wabbelige Vinylpolster, um mich aus der Sitzecke zu hieven.
    Auf dem Rückweg beginnen die Reklametafeln zu verschwimmen. Ich mache die Augen zu, lausche dem Brummen des Motors und Christians gleichmäßigem Atem. Ich schlafe schon fast, als wir vor seinem Haus halten, und auch als ich höre, dass Christian aussteigt, bleibe ich sitzen und sage mir, dass ich in einer Minute aufstehen werde. Er muss mich auffordern aus dem Auto zu steigen. Als wir vor der schmucklosen Wohnungstür stehen, bin ich immer noch nicht sicher, auf welcher Seite der Tür er mich haben will.
    »Ich darf also hierbleiben?«, frage ich.
    »Willst du das?«
    Ich nicke.
    »Klar, ist immerhin billiger als ein Motel«, sagt er und grinst.
    Ich bin zu durcheinander, um zu reagieren. Er meint eine Nacht, ich meine für immer. Bevor ich mir überlegen kann, wie ich ihn bitten könnte, mich bei sich wohnen zu lassen, sagt er: »Aber Mirriam weiß nichts von Dad. Könntest du also vielleicht …«
    »Natürlich«, sage ich. »Kein Wort.«
    »Du kannst auf der Couch schlafen. Du siehst völlig fertig aus.«
    Ich nicke. Ich bin so müde, dass es sich anfühlt, als wäre mein Kopf losgelöst von meinem Körper und würde irgendwo darüberschweben, wie ein Luftballon.
    Er guckt zu ihrer Tür. »Wir reden morgen, okay?«
    »Klar, okay«, sage ich.
    Er lässt mich in seine Wohnung. Ich trete über die Schwelle, aber er folgt mir nicht. Er starrt auf Mirriams Tür, das Gesicht angespannt.
    »Was wirst du ihr erzählen?«, frage ich.
    »Ich weiß nicht. Ich schätze, ich fange an mit: ›Ich habe einen Bruder.‹«
    Mein Gesicht fällt in sich zusammen; meine Augenbrauen und meine Mundwinkel rutschen herunter. Sie weiß nicht einmal, dass ich existiere?
    Er fährt sich mit der Hand durchs Haar und starrt immer noch auf die Tür. Auch wenn ich Mirriam kaum kenne, weiß ich, eine solche Unterschlagung ist Stoff für Streit und Trennung. Vielleicht verhält er sich deshalb so gar nicht wie der Christian von einst. Früher hat er mich immer in Schutz genommen, hat meine Fehler auf seine Kappe genommen oder so lange mit Dad gestritten, bis der auf Christian losging und nicht auf mich.
    »Christian, ich hab wirklich nicht vor, dir alles zu versauen.«
    »Ja, ich weiß. Aber wenn Dad … kommt drauf an, wie weit … Was du vorhast, spielt womöglich gar keine Rolle.«
    Er schließt die Tür hinter sich und ich stehe in seiner Wohnung und starre die andere Seite der Tür an. Die richtige Seite. Eigentlich.

Kapitel 3
    Am nächsten Morgen liege ich auf Christians Couch, im Schwebezustand zwischen Schlaf und Koffeinputsch. Ich träume nicht, um genau zu sein. Ich erinnere mich. Ganz genau.
    Ich bin acht Jahre alt und trage ein klatschnasses gelbes Fußballtrikot, stehe unter einem tiefen grauen Himmel und starre auf die zwei orangefarbenen Hütchen, die das Tor markieren. Wir verlieren 1 : 0 gegen die Bears im braunen Trikot. Coach Polansky hat mich dazu verdonnert, Torwart zu sein. Mein Dad steht hinter mir und redet auf mich ein.
    »Behalte das ganze Feld im Blick«, sagt er. »Jetzt spielt er Jimmy den Ball zu. Achte auf Jimmy.«
    Und Jimmy jagt den Ball an mir vorbei. Mein Vater fängt ihn und kickt ihn zum Schiri. Jimmys zweiter Ball prallt an meinen Händen ab, aber er geht ins Netz. Den dritten Schuss verpasse ich komplett, konzentriere mich auf die falsche Seite. Am Ende des Spiels hasse ich meinen Coach, kann Fußball nicht ausstehen und wünsche Jimmy Tuttle eine Plage zickiger Mädchen an den
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