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Kein Ort - Nirgends

Kein Ort - Nirgends

Titel: Kein Ort - Nirgends
Autoren: Christa Wolf
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gehört, daß er mit eignen Poesien gescheitert ist und sich, so gut es eben geht, an jedem Talent rächt, hinter dem nicht mächtige Gönner stehen. Neid, das müsse sie wissen, sei eine unglaubliche Triebkraft.
    Nun ja. Die Günderrode kann nicht sehn, daß diese Einsicht das mindeste an dem Vorgang bessern soll; der herablassende Ton des Rezensenten, seine Balance zwischen falscher Schmeichelei und anmaßendem Tadel, der seinem Opfer nicht erlaubt, Wirkung zu zeigen; Satzfetzen, mit genauer Berechnung in den Text gestreut,damit sie mit hundert Widerhaken in ihrem Kopf festsitzen. ›Ein schönes, zartes, weibliches Gemüt‹; dessen ›etwas alberne Anpreisung in einem öffentlichen Blatte‹ – als hinge der Ton einer Anpreisung irgend von ihr ab! Wörter wie ›Schnürbrust‹, ›Hanswurstjacke‹. Vor allem aber: Mancher habe Reminiszenzen und halte sie für Originalideen.
    Die erste wilde Reue, mit ihren Bekenntnissen unter die Leute gegangen zu sein, hat sich gelegt. Dem Clemens, der sich empört stellt, der wohl empört ist, spielt sie Gelassenheit vor. Aber ein feines Gift ist aus diesen Zeilen in sie eingedrungen, untilgbar, und eine neue Art von Furcht. Sehr stark fühlt sie die Versuchung, sich fallen zu lassen. Wegzugehn, sich zu verkriechen, das letzte, unauffindbare Versteck aufzusuchen, wo keiner sie aufstöbern kann, nicht Freund, nicht Feind. Man wird sie nicht demütigen. Sie hat das Mittel dagegen und wird es zu gebrauchen wissen. Welch ein Trost, daß man nicht leben muß.
    Der Clemens, in seinem Übereifer, nennt das falsche Lob des Skribenten läppisch, seine Rüge sanft gemein, den Schreiber selbst einen undelikaten Menschen, einen Schmierer in einem Blatte, welches jeder Ladenbursche lese.
    Clemens, sagt sie endlich, lassen Sie es genug sein. Daß ich schreiben muß, steht mir fest. Es ist eine Sehnsucht in mir, mein Leben in einer bleibenden Form auszusprechen. Und kein Beifall zu meinen Gedichten hat mich so gefreut wie der Ihre. Aber halten Sie mich für so selbstvernarrt, daß ich nicht wüßte, wie weit ich davon entfernt bin, meine Sehnsucht zu verwirklichen?
    Clemens, den sie bewundert, muß es doch wissen: DasUngenügen mit sich selbst ist der eigentliche Stachel. Diese Scham, er muß sie genauer kennen als sie.
    Die Bettine mit ihren besorgten Blicken. Natürlich ist sie es gewesen, die den Bruder bestimmte, von Offenbach mit herüberzukommen. Die Günderrode war doch unangenehm berührt, als sie beim Eintreten ihn als ersten sah und neben ihm die Mereau, Sophie – eine Schönheit zweifellos, die ehemalige Gattin des Jenenser Professors, um die Clemens so beharrlich, so inständig warb, daß sie am Ende – verstört und ungewiß, wem ihr Gefühl sich zuneigte – dem Manne folgte, der sie am rücksichtslosesten beanspruchte.
    Den ganzen Seelenroman der Mereau las die Günderrode in deren erstem Blick: schuldbewußt, trotzig, auftrumpfend und verzweifelt. Ihr Kind? Ja, zum Glück, jetzt war es gesund, außer Gefahr.
    Wie sie das freute! Die Günderrode drückte die Sophie an sich, es schien die andre zu verwundern und glücklich zu machen. Öfter begegnete es der Günderrode, daß andere Frauen ihr Urteil suchten, sie verstand es nicht. Sophie, sagte sie, ein Kind! Das muß Sie stolz machen. Ich wüßte nichts Wichtigeres. – Fast hätte sie hinzugesetzt: Ich werde nie eins haben.
    Clemens, der beinah ängstlich die Begegnung der beiden Frauen beobachtete, mischte sich ein: Wie tüchtig die Sophie sei; wie sie, vierzehn Tage nach einer schweren Niederkunft, gefährliche Berge mit ihm beklettert habe. Man könne sie auf den Kopf stellen, sie falle immer wieder auf die Füße.
    Die Frauen verständigten sich: Wie kindisch Männer sind.
    Clemens, in Besitzerstolz, fuhr fort, von seinem Kind zusprechen. Es gefalle ihm im ganzen sehr wohl. Wenn er es in den Händen halte, habe er eine große Freude an ihm.
    Eine geschwätzige Freude, lieber Clemens, warf die Sophie ein.
    Mag sein, erwiderte der, leicht verstimmt. Es recht mit allem Apparat zu lieben, wage ich nicht. Es wäre imstande und packte diese Liebe ein und ginge mit ihr in die andere Welt.
    Da hören Sie es, sagte die Mereau zur Günderrode. Noch keine Menschenseele hat er recht mit allem Apparat zu lieben gewagt. Was er wirklich liebt, ist: darüber sich mitzuteilen.
    Jetzt verleumde man ihn! rief der Clemens klagend, und seine Frau griff den Ton auf, sie lachten zu dritt. Die Bettine kam hinzu, musterte sie und sagte dann,
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