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Kein Ort - Nirgends

Kein Ort - Nirgends

Titel: Kein Ort - Nirgends
Autoren: Christa Wolf
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anhört, der neben ihr die Figur eines Bittstellers macht. Die andern jungen Frauennennen sie Karoline: Auch das stünde ihm nicht zu; weniger noch, das versteht sich, die Zärtlichkeit Savignys, welche die Günderrode über Gebühr zu freuen schien. Günderrödchen.
    Wie sie da steht, sich nicht aufdrängt, sich nicht ausdrücklich entzieht. Dame. Mädchen. Weib. Frau. Alle Benennungen gleiten von ihr ab. Jungfrau: lächerlich, beleidigend sogar, später will ich darüber nachdenken, wieso. Jünglingin. Kurioser Einfall, weg damit.
    Kleist unterdrückt das Wort, das ihm zu passen scheint. Dem Widerwillen gegen Zwitterhaftes geht er nicht auf den Grund. Sie dichtet? Fatal. Hat sie das nötig? Kennt sie nichts Besseres, sich die Langeweile zu vertreiben?
    Die Günderrode spürt den Blick zwischen ihren Schulterblättern, schüttelt ihn ab. Der Fremde, den Wedekind eingeführt hat, steht stocksteif auf dem gleichen Fleck, allein. Jemand müßte sich seiner annehmen. Warum nur Merten, sonst ein untadliger Gastgeber, seine Pflichten versäumt. Da steht er und applaudiert der Bettine, kriegt seine Augen nicht von ihr, läßt sich an der Nase herumführen, als wär er nicht Mitte Vierzig und ein gesetzter Kaufmann und sie ein junges Ding von kaum Zwanzig, der närrische Mensch. Wenn er wüßte, wie sie nachher bei mir über ihn spotten, meine Vorhaltungen zurückweisen, alle Verantwortung ablehnen wird: Jeder mache sich auf eigne Rechnung zum Hanswurst, wird sie sagen; sie täte es ja auch. Da hat sie recht. Was geht mich übrigens der fremde Gast eines fremden Hauses an. Vielleicht gibt sich nachher die Gelegenheit, diesen Kleist wissen zu lassen, daß ich sein Stück gelesen hab. Den Autor möcht ich sehen, dessenLaune sich nicht augenblicklich bessert, wenn in Gesellschaft sich einer als sein Leser bekennt.
    Sie muß ihm ja nicht erzählen, daß es ausgerechnet Merten war, der ihr das Drama gegeben hat, enttäuscht übrigens, da er sich nach dem Titel, ›Die Familie Schroffenstein‹, eins der üblichen Ritterstücke erhofft hatte; und daß sie es las, weil von Mainz herüber merkwürdige Gerüchte über den jungen Menschen kamen, der in desolater Verfassung den Winter über bei Hofrat Wedekind untergekrochen war. Diesem Kindergesicht allerdings traut man die Seelenstürme, auch die wilden Verbrechen nicht zu, von denen sein Drama strotzt. Er ist ja noch sehr jung.
    Sie muß lächeln; sie selbst ist jünger als er.
    Jetzt steht die Sonne in gleicher Höhe mit den vier Fenstern, die alle nach Südwesten hin offen sind. Eine Luft weht herein, so leicht, daß die Günderrode sie fast nicht atmen kann. Manchmal, wenn sie luftknapp auf ihrem Bette liegt, denkt sie, sie brauche doppelt soviel Luft wie andere Menschen, als verwende ihr Körper einen Vorrat für heimliche Zwecke.
    Eine Wanduhr schlägt dreimal, fein und spröde wie ein Spinett. Kein Grund, auf einmal derart trostlos zu sein. Eine halbe Stunde ist sie hier, und schon möchte sie fort, fühlt die Kälte aufsteigen, die diesem Zwang gewöhnlich folgt. Den Clemens will sie los sein, er ist ihr lästig. Er fühlt nicht, worüber er zu schweigen hätte, und sie, durch eine alte Rücksicht gegen ihn befangen, unfähig, an jenen Vorfall vor drei Jahren zu rühren, muß ihn gewähren lassen. Sie spürt ihre Gesichtshaut sich spannen, um undurchlässig gegen seine Blicke zu sein, die ihr Mund, Stirn, Wangen abtasten. Unleidlich ist es ihr,was ein Mann sich ohne weiteres gegen eine Frau herausnehmen darf, und daß die seine Zudringlichkeit nicht abwehren kann, ohne am Ende als die Spröde, Zimperliche, Unweibliche dazustehen.
    Ihre Gedichte also, da er darauf besteht. Sie will nicht darüber sprechen, will keinem Menschen, ihm am wenigsten, preisgeben, daß sie verletzt, beschämt, eigentlich mutlos ist. So sagt sie: Sie habe es nie bereut, ihre Gedichte herausgelassen zu haben, leicht und unwissend, was sie tat; die Schranke überwunden zu haben, die ihr innerstes Gemüt von der Welt schied. Clemens nicht, keiner soll von ihr hören, wie es sie traf, daß ein dummer böser Zufall die Person enthüllte, die sich hinter dem Dichternamen Tian verbarg.
    Aber die Rezension im ›Freymüthigen‹? Wolle sie ihm weismachen, die hätte sie nicht getroffen?
    Getroffen? Mein Gott. Wer sich in die Hand der Öffentlichkeit gibt . . .
    Der Kritiker soll ein Landsmann von ihr sein, ein Frankfurter?
    Allerdings. Ein Hofmeister übrigens, der mit E. zeichne. Ein Hofmeister! Clemens hat
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