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Kein Opfer ist vergessen

Kein Opfer ist vergessen

Titel: Kein Opfer ist vergessen
Autoren: Michael Harvey
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berührte mein Gesicht und merkte, dass ich weinte.
    »Lassen Sie sich Zeit«, sagte Kelly. »Wahrscheinlich stehen Sie leicht unter Schock.«
    Ich wischte über meine Nase und trank einen Schluck Brühe. »Was ist überhaupt passiert?«
    Kelly schaute zur Spitze des Boots. Wie auf Kommando klaffte eine Lücke im Nebel auf. Ich erkannte zwei Paar Füße, die Fersen zeigten nach oben. Ein Paar steckte in grünen Stiefeln, das andere in schweren schwarzen. Z und Coursey.
    »Sind beide tot?«, fragte ich.
    Kelly nickte. »Die Frau habe ich erschossen. Den anderen haben die Taucher entdeckt und aus dem Wasser gezogen.«
    »Wie sind Sie hierhergekommen?«
    »Rodriguez hat mich gebeten, Ihnen zu folgen. Das habe ich getan, allerdings mit großem Abstand. Hätte ja sein können, dass irgendjemand nach Verfolgern Ausschau hielt. Als ich an dem Strandhaus ankam, waren die beiden schon da. Ich habe das Boot an der Anlegestelle gesehen, Rodriguez angerufen und die Taucher angefordert.«
    »Und was wäre gewesen, wenn sie vorgehabt hätten, uns im Haus umzubringen?«
    »Das wäre Pech gewesen. Wenn ich versucht hätte, ins Haus zu gelangen, hätten die beiden Sie wahrscheinlich auf der Stelle erschossen.«
    »Es war trotzdem riskant.«
    »Ja, aber zum Glück hatten wir Nebel. Auf dem See konnten wir uns ziemlich nahe an sie heranwagen. Als der Motor ausgestellt wurde, sind zwei der Taucher ins Wasser gesprungen. Ich habe mich auf die Frau mit dem Gewehr konzentriert.«
    »Sie haben es ganz schön eng werden lassen.«
    Kelly zuckte mit den Schultern. In dem Augenblick fiel mir Jake ein. Kelly musste es meinem Gesicht angesehen haben.
    »Ihr Freund ist in Sicherheit. Er war knapp eine Minute unter Wasser und wird gerade auf unserem Boot behandelt.«
    Ich hörte das Tuckern eines Motors. Gleich darauf tauchte im grauen Dunst ein Polizeiboot auf und legte an unserer Seite an. Es hatte Rodriguez mitgebracht, der mit einem großen Schritt auf den Whaler sprang. Das Polizeiboot tuckerte wieder davon.
    »Wie geht es ihm?«, fragte Rodriguez.
    Kelly nickte in meine Richtung. »Stellt eine Menge Fragen. Ich denke, das ist ein gutes Zeichen.«
    Rodriguez setzte sich zu mir.
    Kelly raffte sich auf und trat an den Bug. Wir dümpelten noch immer auf dem See, als hätten wir kein Ziel, das wir ansteuern konnten.
    »Jake kommt wieder auf die Beine«, sagte Rodriguez. »Er hat eine Bluttransfusion bekommen und wurde stabilisiert.« Er zeigte in den Nebel. »Jetzt wird er in ein Krankenhaus gebracht.«
    »Danke, Detective.«
    »Gern geschehen.« Rodriguez holte eine Packung Zigaretten aus der Tasche hervor und bot mir eine an.
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich rauche nicht.«
    »Ich auch nicht, die Packung gehört Kelly. Aber es gibt Tage …« Er zündete seine Zigarette an. Kelly kam zu uns zurück. Rodriguez reichte ihm die Packung. Kelly schnappte sie sich und verschwand wieder. Rodriguez nahm nur einen Zug, ehe er die Zigarette ins Wasser warf. »Unsere Lage ist ziemlich knifflig, oder?«
    »Ja. Tut mir leid.«
    »Warum? Ist doch nicht Ihre Schuld. Im Gegenteil, wo wären wir denn ohne Sie? Sie haben nichts Falsches getan.«
    Als wir von einer Welle gehoben wurden, knarzte das Boot.
    »Warum sind wir noch auf dem Wasser?«, fragte ich. »Warum steuert keiner das Ufer an?«
    »Gute Frage.« Mit einer Kopfgeste deutete Rodriguez auf die beiden Stiefelpaare. »Vielleicht fangen wir damit mal an.«
    »Z und Coursey?«
    »Ja, was sollen wir mit ihnen machen? Wenn wir sie abliefern, müssen wir erklären, wie sie gestorben sind. Und warum.«
    »Das kann ich jedem erzählen.«
    »Und was genau wäre das?«
    »Dass Kelly keine andere Wahl hatte. Wenn er Z nicht erschossen hätte, wäre ich tot. Wenn –«
    »Das sind Details«, unterbrach er mich. »Um die geht es nicht.«
    »Um was dann?«
    »Um den Schuppen, den Sie aufbekommen haben. Um den Kühlschrank und die Schränke.«
    »Haben Sie sich den Inhalt angeschaut?«
    »Nur ganz kurz.« Rodriguez zog das schwarze Moleskine hervor. »Wenn wir das, was geschehen ist, öffentlich machen und die Hintergründe erklären, dann –«
    »– landen wir bei der Erpressung, und das Leben von zig Personen wird zerstört werden.«
    »Richtig. Sagen wir mal, alles, was wir in dem Schuppen finden, kommt ans Tageslicht. Vielleicht hätte ich nicht mal was dagegen. Eine Handvoll Politiker wäre ruiniert, ja und? Oder sogar mehr als eine Handvoll, aber auch das kratzt mich nicht. Die Sache ist nur, dass einige der
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