Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kein Opfer ist vergessen

Kein Opfer ist vergessen

Titel: Kein Opfer ist vergessen
Autoren: Michael Harvey
Vom Netzwerk:
Dreißigern.
    »Wie Sie wollen.« Z wühlte in den Unterlagen, die sie auf dem Tisch vor sich gestapelt hatte, und zog unter einem Notizblock etwas hervor, das aussah wie ein Big Mac. Sie wickelte ihn aus dem Papier, biss ein Stück ab, griff nach einem Becher Cola mit Strohhalm und nahm einen Schluck.
    »Kann mir jemand sagen, weshalb wir hier sind?« Z aß den nächsten Bissen, kaute und musterte uns.
    »Wir sind hier, um Fehlurteile zu untersuchen.« Beim Sprechen klopfte Sarah mit einem Stift auf den Tisch. »Es geht uns um Menschen, die wegen eines Verbrechens verurteilt wurden, das sie nicht begangen haben.«
    »Sie meinen wegen eines Mordes, Ms Gold.«
    »Ja, Madam.«
    »Z.«
    »Ja, Z.«
    »Und was ist – Gott bewahre! –, wenn das Dreckschwein doch schuldig war?« Aus dem Big Mac fiel eine Gurkenscheibe heraus. Z ging darüber weg. »Was ist, wenn Sie das ganze Quartal eine Akte durchackern und sich dann herausstellt, dass er das kleine Mädchen tatsächlich vergewaltigt, zerstückelt und die Einzelteile in einen Müllsack gestopft hat? Genau, wie es der Staat befunden hat?«
    Sarah öffnete den Mund, um zu antworten.
    »Ich bin noch nicht fertig«, sagte Z. »Was ist, wenn Sie einen Fall untersuchen und sicher sind, dass der arme Kerl unschuldig ist? Und es daran keinerlei Zweifel gibt. Auch wenn Sie dafür keinen Beweis haben. Oder Sie haben den Beweis, der aber aus irgendeinem Grund unzulässig ist. Was dann?«
    Z nahm noch einen Bissen, legte den Hamburger weg und hob die Hände wie ein Chirurg, der sich bereit macht zu operieren. »Dieses Zeug dürfte ich gar nicht essen, aber ich liebe es einfach.« Sie wischte ihre Hände an einer Papierserviette ab, wickelte den Rest ihres Burgers darin ein und steckte das Ganze in die Tüte zurück. »Was ich sagen will – wir haben jede Menge Akten. Aus denen kann sich alles Mögliche ergeben. Deshalb suchen wir auch nicht nach einem bestimmten Resultat, das wir allen anderen vorziehen würden.«
    »Wonach suchen wir dann?«, fragte Sarah.
    »Nach der Wahrheit, falls wir sie entdecken. Und nach einer guten Story. Die Methoden unseres Gerichtssystems –« Z drehte ihre Handflächen nach oben. »Manchmal muss man die Dinge nehmen, wie sie sind. Ist Ihnen klar, worauf ich hinauswill?«
    Wir nickten.
    »Okay, Sie haben nicht den Hauch einer Ahnung. Kein Problem. Denken Sie immer an die Regel Nummer eins. Ein Beweis spricht für sich. Sie müssen ihm erlauben, seine Geschichte zu erzählen, statt ihn so zu formen, dass er zu einem gewünschten Ergebnis führt. Darüber werden wir uns später noch ausführlicher unterhalten. Also, legen wir los.« Z deutete auf den Berg brauner Akten hinter ihr an der Wand. »Da sind einige der Fälle, die Sie sich anschauen können. Am Ende des Flurs haben wir noch einen ganzen Raum voll damit.«
    »Sollen wir an einem bestimmten Punkt anfangen?«, erkundigte ich mich. »Oder suchen wir uns einfach irgendwas raus?«
    »In diesem Seminar geht es um den Instinkt, Mr Joyce. Und darum, wer ihn hat. Der erste Fall, den wir uns hier jemals vorgenommen haben, basierte auf nicht viel mehr als einem Gefühl. Haben Sie davon gehört?«
    Wir schüttelten die Köpfe. Z wirkte zufrieden.
    »Es handelte sich um Charles Granger. Er wurde angeklagt, einen Mann während eines Drogendeals erschossen zu haben. Der Staat Indiana verurteilte ihn deswegen zum Tode. Im Frühjahr 1999 gingen wir seine Akte durch, hier in diesem Seminarraum. Keiner von uns glaubte an seine Schuld. Wir wussten zwar nicht, weshalb wir uns da so sicher waren, aber die Fakten passten einfach nicht zusammen. Wir forderten die Prozess-Protokolle an und begannen mit der Durchsicht. Schließlich konzentrierten wir uns auf die Aussage der Hauptzeugin der Anklage. Anfangs hatte sie Angst, mit uns zu reden. Wir leiteten ihr die Briefe weiter, die Granger uns geschrieben hatte. Dann schickten wir ihr einen Kalender, in dem wir das Datum der Hinrichtung angemarkert hatten. Am Ende zog sie ihre Aussage zurück, und der ganze Fall fiel in sich zusammen. Charles Granger hatte vierzehn Jahre in der Todeszelle gesessen. Es gab einen Moment, da war er nur noch achtundvierzig Stunden von der Vollstreckung des Urteils entfernt. Wir retteten sein Leben. Seither sind in diesem Seminar acht weitere Leben gerettet worden. Mindestens ebenso viele Menschen haben wir freibekommen, nachdem sie jahrzehntelang im Gefängnis gesessen hatten. Für Verbrechen, die sie nicht begangen hatten. Das hier wird die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher