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Kein Opfer ist vergessen

Kein Opfer ist vergessen

Titel: Kein Opfer ist vergessen
Autoren: Michael Harvey
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Wahl.«
    Jake griff nach seinem Kaffee und nahm einen Schluck. »Was genau willst du eigentlich?«
    »Den Mann finden, der Skylar Wingate getötet hat.«
    »Du scheinst dir deiner Sache ziemlich sicher zu sein.«
    »Bin ich.«
    Jake legte die Stirn in Falten und schaute geradeaus. Ich schaltete das Radio ein. Er schaltete es aus.
    »Und was machen wir mit ihm? Wenn wir ihn haben?«
    »Das weißt du selbst. Du hast es immer gewusst.« Ich steckte das Handy zurück und stellte den Motor an. Nach einer Fahrt um den Block lenkte ich den Wagen rückwärts in eine schmale Sackgasse. Am anderen Ende befand sich eine Wäscherei, die um fünf Uhr zumachte. Von unserem Platz aus sahen wir direkt auf das Chasens.
    »Du irrst dich«, sagte Jake.
    »Worin?«
    »Ich möchte diesem Mann nichts antun. Falls du das geplant hast. Ich hatte es auch nie vor.«
    Ich holte mein Handy wieder hervor und hielt es ihm hin. »Dann ruf an.«
    Auf der Straßenseite uns gegenüber stand ein Typ im Rinnstein und versuchte, eine Obdachlosenzeitschrift zu verkaufen. Auf der Halsted hockte ein Penner in einer Bushaltestelle auf der Bank. Er trug eine Kappe mit dem Logo der Cubs und stierte auf die Leute, die an ihm vorbeizogen. An der Ecke redete ein Cop auf einen dünnen schwarzen Jungen ein.
    »Ich weiß, was hier gespielt wird«, sagte Jake so bestimmt, dass mir klar war, er wusste es nicht. Oder zumindest nicht so viel, wie er dachte.
    »Was wird denn hier gespielt, Jake?«
    »Möchtest du das wirklich hören?«
    Ich drehte mich halb zu ihm um. »Ich denke schon.«
    Er fuhr mit der Zunge über seine Lippen. Es war das erste Mal, dass ich Jake Havens nervös erlebte. »Zuerst war es der Strick, mit dem Wingate stranguliert wurde. Wir haben ihn auf den Fotos gesehen.«
    »Und?«
    »Er hat mich an etwas erinnert. An irgendetwas früher in der Schule. Aus dem Sportunterricht. Deshalb bin ich noch mal in Wingates Schule gegangen, aber diesmal habe ich mich auf die Angestellten damals konzentriert. Ich habe die alten Gehaltslisten bekommen und die Namen aufgeschrieben.«
    »Also warst du wieder fleißig.«
    »Dabei bin ich auf einen Hausmeister namens Edward Cooper gestoßen. Er verließ die Schule sechs Monate nach dem Mord an Skylar. Anderthalb Jahre später verschwand er aus Chicago. Ich konnte seine Spur bis Nevada verfolgen. Dort vergewaltigte er einen Jungen und wurde zu fünfundzwanzig Jahren Gefängnis verurteilt. Vor sieben Monaten wurde er entlassen.«
    »Weißt du, wie er aussieht?«
    »Das ist noch nicht alles.«
    Ich nickte. Jake Havens war an der Uni von Chicago der Beste seines Studiengangs gewesen. Logisch, dass er noch mehr auf Lager hatte.
    »Cooper wohnte in Evanston und hatte eine Familie. Eine Frau und zwei Söhne. Zwillinge.«
    Er sah mich an und wartete. »Soll ich einen Tipp abgeben«, sagte ich. »Der Mädchenname der Ehefrau war Joyce. Die Zwillinge hatte sie Ian und Matthew genannt.«
    »Du hast es also gewusst. Von Anfang an.«
    »Edward Cooper war mein Stiefvater. Er wohnte bei uns, bis ich zehn war. Und ja, er hat die Jungen umgebracht. Sowohl die drei damals als auch die beiden in diesem Sommer. Deshalb sind wir jetzt hier.«
    »Ich weiß immer noch nicht, warum.« Seine Stimme war schleppend und undeutlich geworden. Er schaute auf seinen Kaffee und dann zu mir hinüber. Ich nahm ihm den Becher ab und stellte seine Rückenlehne flach. Jake versuchte, aufrecht sitzen zu bleiben, und scheiterte kläglich.
    »Geht leider nicht anders, Jake. Du bist einfach zu klug.« Ich zog die Wagenschlüssel ab und ließ sie auf den Boden fallen. »Wenn du wach wirst, fährst du zu deiner Wohnung zurück. Am besten kriechst du dann gleich in dein Bett, denn du wirst einen gewaltigen Schädel haben. Das tut mir ebenso leid wie der Rest.«
    Jakes Lippen bewegten sich, aber es kam kein Wort hervor. Ich legte eine Hand auf seine Schulter und wartete, bis seine Augen geschlossen waren. Den restlichen Kaffee kippte ich aus dem Fenster. Dann stieg ich aus dem Wagen, schloss ihn mit meinem Ersatzschlüssel ab und ließ meinen bewusstlosen Kommilitonen zurück.
    Anschließend lief ich zu dem Parkplatz an der Roscoe, wo ich einen Van abgestellt hatte. Dort angekommen, holte ich aus dem Van das heraus, was ich brauchte, und vergewisserte mich noch einmal, dass ich alles bei mir hatte. Inzwischen war es Abend geworden. Als ich mich auf den Rückweg machte, sah ich die Lichter auf der Halsted. Kurz vor dem Chasens schlüpfte ich in eine dunkle
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