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Kein Opfer ist vergessen

Kein Opfer ist vergessen

Titel: Kein Opfer ist vergessen
Autoren: Michael Harvey
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Fälle – oder wahrscheinlich die meisten – getürkt sind. Die Beweise könnten jemandem untergeschoben worden sein, wie bei Ihrem James Harrison, oder jemandem wurde eine Falle gestellt –«
    »– wie mir, als sie Theresa auf mich angesetzt haben.«
    »Solche Dinge eben.« Rodriguez betrachtete mich prüfend. Ich wusste, worauf er anspielte. Der Erpresserring des Trefferkommandos mochte in Chicago begonnen haben, aber inzwischen reichten seine Finger bis nach Washington, in die höchsten Kreise der Regierung. Jeder, der genannt würde, wäre erledigt, ganz gleich, ob er schuldig war oder nicht.
    »Und was machen wir jetzt?«, fragte ich.
    »Sie haben den Stein ins Rollen gebracht. Sie, Jake und Sarah. Und einen ziemlich hohen Preis dafür gezahlt.«
    »Und weiter?«
    »Deshalb ist die Frage, was Sie jetzt machen möchten.«
    »Und das soll ich entscheiden? Das kann ich nicht.«
    Rodriguez grinste. »Wer hat denn gesagt, dass Sie etwas entscheiden sollen? Ich wollte lediglich wissen, was Ihnen so vorschwebt.«
    Ich hob die Schultern. »Ich weiß es nicht.«
    »Gut«, sagte Rodriguez. »In Ihrem Alter ist das wahrscheinlich die beste Antwort. Deshalb machen wir Folgendes. Wir bringen Sie an Land, setzen Sie in einen Wagen und in ein paar Stunden sind Sie wieder zu Hause. Anschließend vergessen Sie alles, was Sie heute gesehen haben. Das Strandhaus, den Schuppen, dieses Boot. Es wird Leute geben, die Ihnen Fragen stellen, spätestens dann, wenn Ihre Professorin nicht zum Seminar erscheint. Aber Sie wissen von nichts, okay?«
    »Okay.«
    Rodriguez studierte meine Miene. »Falls Sie noch Fragen haben, fragen Sie jetzt.«
    »Haben Sie Sally Finn gefunden?«
    »Ja, in ihrem Strandhaus. Sie weiß nicht mal mehr, wie sie heißt.«
    »Trotzdem müssen noch mehr Leute an der Geschichte beteiligt sein.«
    »Nach unserem besten Wissen kannten nur Z und Coursey sämtliche Einzelheiten. Alle anderen auf ihrer Gehaltsliste haben nie mehr als kleine Informationsbrocken bekommen. Ich rede von Polizisten, Staatsanwälten, ein paar Reportern und einer großen Zahl Nutten. Mit ihnen werden wir uns noch unterhalten und den Polizisten und Staatsanwälten zu einer anderen Arbeit raten. Den Rest behalten wir im Auge und sehen zu, dass niemand auspackt.«
    »Und das soll funktionieren?«
    »Wäre nicht das erste Mal.«
    »Und was machen Sie mit den beiden?« Ich deutete auf die Stiefelpaare.
    »Lassen Sie es gut sein, Ian.«
    »Sie setzen mich ab, kehren hierher zurück und werfen sie in den See.«
    Rodriguez sah mich nur an. Hinter ihm tauchte Kelly auf.
    »Sagen Sie es ruhig, Detective. Ich kann es verkraften.«
    »Schön zu hören, denn genauso wird es laufen.«
    »Worauf warten wir dann noch?«
    Rodriguez hob die Hand und machte eine Kreisbewegung über seinem Kopf. Gleich darauf sprang der Motor an. Vierzig Minuten später stand ich auf der Anlegestelle des Strandhauses, mit einem Cop dicht an meiner Seite. Ehe der Whaler wieder ablegte, winkte Rodriguez mir kurz zu. Kelly stand neben ihm und beobachtete mich. Dann wurde das Boot vom Nebel verschluckt, und ich hörte nur noch das leiser werdende Tuckern.

SIEBENUNDVIERZIG
    Zum Schluss lief es so, wie Rodriguez es gesagt hatte. Na, so in etwa jedenfalls.
    Marty Coursey »hinterließ« seinen beiden Kindern aus einer gescheiterten Ehe eine Nachricht. Darin teilte er ihnen mit, dass er Chicago verlassen und auch nicht mehr zurückkehren werde. Er bat sie um Verzeihung. Falls sie ihm nicht verzeihen konnten, sollten sie ihn einfach vergessen.
    Die Leiche von Judy Zombrowski wurde an einem felsigen Uferstück des Lake Michigan angespült, nicht weit von dem Ort entfernt, an dem vor langer Zeit das Wrack der Lady Elgin gefunden worden war. Ihr Tod wurde der Northwestern als Folge eines »tragischen Unfalls« gemeldet. Wie es hieß, hatte sie in ihrem Testament den Wunsch hinterlassen, auf dem Calvary-Friedhof neben Rosina Rolland bestattet zu werden. Als sie beigesetzt wurde, waren Jake und ich die einzigen Trauergäste.
    Jake und ich sahen uns mittlerweile häufig. Er hatte für mehrere Wochen im Krankenhaus gelegen. Die Kugel hatte keinen bleibenden Schaden angerichtet, doch als er eingeliefert wurde, hatte er eine Menge Blut verloren. Rodriguez erzählte jedem, der danach fragte, Jake wäre wegen eines Blinddarmdurchbruchs zur Notoperation ins Krankenhaus gebracht worden. Ich war mir sicher, dass Jakes Eltern stutzig werden würden, aber sie kamen nur ein einziges Mal zu Besuch und
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