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Kein Opfer ist vergessen

Kein Opfer ist vergessen

Titel: Kein Opfer ist vergessen
Autoren: Michael Harvey
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übernommen?«, fragte ich.
    »Sie meinen, wann ich beschlossen habe, dass ich kein Opfer mehr sein will? Nachdem man mich zehn Jahre lang erpresst hatte? Aber sei’s drum, ich habe die Zeit genutzt und so viele Informationen wie möglich über die Operation gesammelt. Und mich langsam hochgearbeitet. So was braucht seine Zeit, wie in jedem guten Unternehmen. Jetzt sitze ich an den Schalthebeln. Die einen bezahlen uns dafür, dass wir Dreck aufwirbeln. Dann kommen die anderen und bezahlen uns dafür, dass wir den Dreck wieder unter den Teppich kehren. Es ist ein Geschäft mit permanenter Hochkonjunktur.«
    »Wir haben alles gesehen«, sagte ich. »Auch das schwarze Notizbuch.«
    »In einer Stunde liegen Sie auf dem Grund des Sees. Ich denke, da ist ihr Wissen gut aufgehoben.«
    »Warum haben Sie gewartet, bis wir hier draußen waren?«
    Z legte den Kopf zur Seite. »Ich finde, Sie sollten ein bisschen mehr Angst haben.«
    »Falls es Sie beruhigt, ich bin panisch.«
    »Freut mich. Natürlich hätte ich Sie schon in meinem Haus erledigen können. Hätte Ihnen etwas in die Limonade kippen können. Dummerweise wussten wir nicht, wo Rodriguez war. Deshalb habe ich Sie hierhergeschickt und überall herumschnüffeln lassen, bis wir sicher waren, dass Ihnen niemand gefolgt ist. Dann haben wir zugeschlagen. Ich verdanke Ihnen zwar einiges an Kopfschmerzen, aber letzten Endes wird es ganz einfach sein. Ein tragisches Bootsunglück. Ihre Freunde werden vermutlich Stunk machen, aber was soll’s, beweisen können sie nichts.«
    Z zog eine Spritze aus der Manteltasche und schälte die Hülle ab. Wie gelähmt starrte ich auf die Nadel.
    »Haben Sie vor, Mätzchen zu machen?«, fragte sie.
    Am liebsten hätte ich geheult, gebettelt und gefleht, aber es würde mir ja doch nichts nützen. Ich wusste Bescheid. Aber vielleicht wusste ich auch nur, dass ich gar nichts wusste.
    »Was sollte der Besuch auf dem Friedhof?«, fragte ich. »Warum die schwarze Kleidung?«
    »Ich habe um Rosina Rolland getrauert. Das tue ich noch. Bei Ihnen wird es mir genauso ergehen. Ändert trotzdem nichts.«
    »Verfickte Schlampe.«
    »Wie reizend.« Sie rammte die Spritze in meinen Arm und beobachtete meine Augen.
    »Wo ist die alte Dame?«, fragte ich.
    »Finn?« Z lachte. Wieder klang es wie ein Wiehern und schrillte in meinen Ohren. Auf der anderen Seite des Raumes hatte Coursey Jake bandagiert und mit dem Oberkörper an die Wand gelehnt. Jakes Gesicht sah aus wie Wachs. Vielleicht hatten die beiden ihn auch unter Drogen gesetzt.
    »Warum interessieren Sie sich für Finn?«, sagte Z.
    Ich wusste selbst nicht, warum. Aber nach ihr zu fragen, war besser als einzuschlafen.
    »Sie ist oben im Haus«, fuhr Z fort. »Vollkommen senil und ans Bett gefesselt. Sonst noch Fragen?«
    Meine Augen wurden schwer und schwerer. Ich versuchte, einen Gedanken zu fassen, aber er entglitt mir. Dann tauchte ein anderer aus dem Nebel auf. Diesen fing ich ein und formte ihn zu Wörtern.
    »Warum haben Sie Rodriguez geholfen, als ich in der Zelle saß? Warum haben Sie ihm von dem Mädchen erzählt?«
    »Vertrauensbildung.« Z drehte meine Hand um und tastete nach dem Puls. Ich sah sie an, hatte aber Schwierigkeiten, mich zu konzentrieren. »Wenn man einem Typ wie Rodriguez so einen Knochen hinwirft, wird sein Vertrauen grenzenlos. Und schon hat man ihn in der Hand. Wir nennen es den Unschuldigen mimen. Was glauben Sie, weshalb ich dieses Seminar gebe? Die Medill ist mein Alibi.« Sie ließ meine Hand fallen. »Zeit zum Schlafen. Wenn Sie aufwachen, liegen Sie tief unten im Lake Michigan.«

FÜNFUNDVIERZIG
    Zu meiner großen Verwunderung wurde ich auf dem Trockenen wach und atmete Luft ein. Z und Coursey hatten mich auf den Boden des Whalers gelegt, der an der Anlegestelle vertäut gewesen war. Nur dass er sich jetzt voranbewegte. Meine Hände lagen mit Handschellen gefesselt auf meinem Bauch. Um meine Beine hatte man eine schwere Kette gewunden und das Ende an einer Wandleiste neben dem Motor festgebunden. Nicht weit von mir entfernt saß Jake. Er trug keine Handschellen, doch er war zusammengesackt. Der Verband um seine Taille war durchgeblutet. Ich war mir nicht sicher, ob er überhaupt noch lebte. Obwohl das keine große Rolle mehr spielen würde.
    Inzwischen war es dunkel geworden. Die Positionslampen an beiden Seiten des Boots waren abgedeckt worden. Über den See krochen feuchte Nebelschwaden, der Bug lag in gelbem Dunst. Dann stoppte der Motor, und wir trieben auf dem
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