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Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Titel: Kein Kind ist auch (k)eine Lösung
Autoren: T Wolf
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erste Test. Hier zeigte sich, wer zur Mutter taugte und wer nicht.
    Während meine Freundinnen aus der Nachbarschaft damals fleißig ihre Puppenwagen samt Püppchen ausfuhren, langweilte ich mich schon bei ihrem Anblick und schloss mich den Jungs an, die weitaus Spannenderes zu bieten hatten: Kettcarfahren, auf Bäume klettern oder Mutproben jeglicher Art bestehen, wie zum Beispiel ungebremst mit dem Fahrrad die Kiesgrube runterbrettern. Tat weh, war aber definitiv erfolgreicher. Ich hatte die Wette gewonnen und bekam von allen anderen zwei Wochen lang das Taschengeld.
    Kurz hinter dem Övelgönner Hafen kam mir ein Pärchen samt Anhang entgegen. Wie zwei Nordic-Walker ohne Stöcke marschierten sie im Stechschritt auf mich zu. Während er einen dieser Ergo-Carrier-Babybjörn-sonstwas-Tragetücher-Behälter inklusive Kind auf seinen Rücken geschnallt hatte, fütterte sie es aus einem Gläschen. Eins, zwei, happ. Eins, zwei, happ. Zwei Schritte, ein Löffelchen Brei. Als das Dreiergespann samt Marschmahlzeit an mir vorbeihetzte, drehte ich mich noch einmal irritiert zu ihnen um. Dabei vergaß ich leider, stehen zu bleiben. Ich verlor die Balance und landete direkt auf dem Sitzbrett des Gehwagens eines älteren Herrn.
    Ups.
    »Na, junge Frau. In Ihrem Alter muss man sich doch noch nicht schieben lassen, oder? Wie gut, dass ich dem Rudi heute einen Spaziergang und keine Spazierfahrt verordnet habe.«
    Er sah zu seinen Füßen hinunter, wo ein kleiner dickbäuchiger Rauhaardackel stand, der mich anknurrte. Zu Recht, wie ich erfuhr: »Denn das ist eigentlich sein Platz.«
    Ich sprang auf, entschuldigte mich, ging schnell weiter und sah mich noch einmal unauffällig um – in der Hoffnung, dass es niemand mitbekommen hatte. Das Dreiergespann war nicht mehr zu sehen.
    *
    Als ich am späten Nachmittag nach Hause kam, empfing mich mein blinkender Anrufbeantworter. Immerhin.
    Meine Mutter beschwerte sich, dass ich mich schon seit Wochen nicht mehr gemeldet hätte, irgendjemand hatte sich verwählt, und DER SPIEGEL wollte mir ein Probeabo schenken.
    Ich schmierte mir eine dicke weiße Feuchtigkeitsmaske ins Gesicht, legte mich in die Wanne, hörte »Die drei Fragezeichen und die flüsternde Mumie« und dachte an meine Mutter. Das Schlimmste an Müttern ist, dass sie in den meisten Fällen recht haben.
    So wie meine Mutter. Ich konnte gar nichts gegen all ihre tollen Ratschläge sagen. Sie hatte ja recht. Aber ich hatte sie nie gebeten, mir all diese schlauen Dinge ununterbrochen mitzuteilen, mich zum Beispiel anzurufen, mir zu mailen und noch eine SMS hinterherzuschicken, nur weil die Wetterfee vorhergesagt hatte, es würde am nächsten Tag regnen. Zu hundert Prozent.
    Und dieses Informationsbombardement hagelte nicht nur bei Regenvorhersagen auf mich nieder. Das Leben war lebensgefährlich. Jawohl. Verdammt lebensgefährlich sogar. Und ich als ihre einzige Tochter und im Grunde einziges Familienmitglied musste diese täglichen Kämpfe gewinnen, musste überleben. Trotz Regen, trotz Sonne, Ozonloch und Handystrahlung.
    »Können wir es schaffen?«
    »Yes, we can«, würde Bob der Baumeister jetzt sagen – nicht Obama, der das eh nur kopiert hat!
    Und das sagte ich ihr auch seit mehr als drei Jahrzehnten. Es brachte nur leider nichts.
    Unser Verhältnis – wenn man davon überhaupt sprechen konnte – war vermutlich so schlecht, weil ich mich einfach nie meldete. Weil ich nicht wissen wollte, wie sich Worte und deren Wellen auf Wasser und dessen Kristalle auswirkten. Ich trank. Egal, welches Wasser, wenn ich Durst hatte. Kristalle hin oder her. Und das seit Jahren. Ohne Nebenwirkungen.
    Erschwerend kam hinzu, dass ich mich ihr immer mehr entzog, je mehr sie es mir vorhielt. Um einen Vater musste ich mich nicht kümmern. Leider. Er hatte einen tödlichen Autounfall gehabt, kurz vor meiner Einschulung.
    Es blieben also nur meine Mutter und ihr Lieblingsvorwurf: »Die ganze Stadt hört von Montag bis Freitag etwas von dir. Nur ich nicht.« Fast hätte ich ihr da gesagt: Dann schalte doch das Radio ein.
    Wenn man mich fragen würde, warum ich mich so gegen sie sträubte, könnte ich vermutlich gar keine konkreten Gründe nennen. Der Unaussprechliche, mein Ex, meinte, meine Mutter habe in mir den fehlenden Partner gesucht und sich zu sehr an mich geklammert. Wer weiß? Vielleicht hätte ich doch eine Therapie machen sollen. Er hatte es mir ja oft genug geraten – der super Hobbypsychologe. Und er musste es ja wissen, wo er doch
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