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Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Titel: Kein Kind ist auch (k)eine Lösung
Autoren: T Wolf
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ich denn, wenn er kein Kind will?«
    »Ihr habt doch sicher irgendwann mal über Kinder gesprochen. Da wird er dir doch gesagt haben, wie er zu eigenem Nachwuchs steht. Oder nicht?«
    Ilka sagte nichts mehr, was sehr, sehr selten der Fall war. Sie schaute mit ihren großen braunen Knopfaugen in ihren Kakao und rührte unmotiviert weiter, dabei hatte sie sich gar keinen Zucker reingestreut. Diese Art des Rührens kannte ich nur zu gut. Ich hatte die richtige Frage gestellt, und das machte mir Sorgen. Ich nahm einen Schluck Galão, obwohl ich inzwischen mehr als wach war.
    Plötzlich erschien eine voll bepackte Ilka vor meinem inneren Auge, wie sie inmitten von zig Taschen und Koffern vor meiner Tür stand, mit einem schreienden Baby auf dem Arm. Oder würden es Zwillinge werden? Himmel!
    »Mir wird schon etwas einfallen, wie ich es ihm sage. Sei mir nicht böse, ich muss los. Ich habe noch einen Termin beim Zahnarzt. Die bieten ja mittlerweile Wochenendsprechstunden für alle Berufstätigen an.«
    Ich war ihr nicht böse. »Dann drück ich dir die Daumen, dass es nicht so schlimm wird.«
    »Das wird schon. Ich hab ja nichts.«
    »Und warum gehst du dann hin? Sieht er so gut aus?«
    »Nein, aber ich wollte noch mal alles durchchecken lassen. Lieber jetzt als mitten in der Schwangerschaft. Dann sollte man ja keine Medikamente mehr nehmen, also auch keine Spritzen mehr.«
    Noch ein Grund mehr, kein Kind zu kriegen. Was für ein Horror. Wo ich doch sowieso vor jedem Zahnarztbesuch Schweißausbrüche bekam, bei denen jedes Deo versagte. Wie hielt man das denn bitte schön ohne Spritze aus? Ich wollte es gar nicht wissen.
    Wir umarmten uns kurz, dann ging sie. Ich sah ihr nach, wie sie sich durch den engen, überfüllten Raum Richtung Ausgang kämpfte. Ilka sah auch mit Mitte dreißig manchmal noch aus wie ein kleiner Schuljunge mit ihrem streichholzkurzen Haar, ihrer schmalen, drahtigen Figur und den Klamotten, die alles andere als ladylike waren. Eher lässiglike. Statt Pumps trug sie Puma, Größe fünfunddreißig. In letzter Zeit auch gerne das Modell, das angeblich mit jedem Schritt den Po formte.
    Sie musste selbst mit Mitte dreißig noch manchmal ihren Ausweis rauskramen, wenn wir einen Drink bestellten … wobei sich dieses Problem wohl auch gerade von selbst gelöst hatte. Kakao bekam man auch ohne Perso.
    Ich stand kurz auf, kramte in meiner Jacke nach dem Portemonnaie. Plötzlich standen zwei junge Mütter dicht neben mir und fragten, ob ich gleich gehen würde. Ich sah sie an, setzte mich wieder hin, steckte das Geld weg und sagte laut: »Nein.« Dann bestellte ich mir einen Prosecco.
    *
    Irgendwann raffte ich mich doch noch auf und ging in die Fußgängerzone. Der Plan, etwas einzukaufen, um am Sonntagmorgen nicht wieder zur Tankstelle laufen zu müssen, zerplatzte, als ich am Einkaufszentrum ankam: Es war brechend voll. Die Leute führten sich auf, als wäre gerade die Mauer geöffnet worden. Sie drängten und schubsten sich die Fußgängerwege entlang, belagerten die Wochenmarktstände, strömten ins Einkaufszentrum links rein und kamen rechts als Menschenwurst wieder heraus. Ich änderte meinen Plan.
    Es war fast zwölf Uhr – eine Zeit, zu der man noch an den Elbstrand gehen konnte, ohne auf Scharen von Kinderwagen zu treffen. Die kauften jetzt alle ein, dann gab es Mittagessen, ein Schläfchen für die Kleinen, und erst am frühen Nachmittag erschienen sie alle wieder an der frischen Luft.
    Unfassbar, dachte ich, als ich den Elbhang hinunterging. Jetzt richte ich schon meinen Tag nach dem Rhythmus irgendwelcher Kinder aus. Völlig gaga.
    Es war das typische Erkältungswetter: sonniger als erwartet, aber dafür etwas kühler als vorhergesagt. Eine Falle, über die sich vermutlich nur Allgemeinärzte freuten, die volle Wartezimmer haben wollten, weil sich alle die Kleider vom Leib rissen, sobald die Frühlingssonne schien. Egal, was das Thermometer sagte. Typisch Hamburger.
    Aber langsam konnte es wirklich gern wärmer werden. In zwei Wochen war es April, und da hatte ich immerhin im vergangenen Jahr schon im Bikini auf dem Balkon gelegen und versucht, unentdeckt weiße Stellen zu retuschieren.
    Ich spazierte langsam am Strand entlang. Ein paar Kinder im Ganzkörpergummianzug, die im kalten Sand eine Burg bauten, warfen für mich die Frage auf, ob man vielleicht schon im Kindesalter erkennen konnte, wer später selbst einmal Kinder bekommen würde und wer nicht. Womöglich war der Puppenwagen schon der
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