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Eve & Caleb - 02 - In der gelobten Stadt

Eve & Caleb - 02 - In der gelobten Stadt

Titel: Eve & Caleb - 02 - In der gelobten Stadt
Autoren: Anna Carey
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EINS
    Mit einem Messer in der Hand kletterte ich über die Felsen. Überall am Strand lagen von der Sonne gebleichte Boote, die schon vor langer Zeit gestrandet waren. Das Schiff vor mir war jedoch erst an diesem Morgen angespült worden. Es war beinahe sieben Meter lang, fast doppelt so groß wie die anderen. Als ich an dem Boot hochkletterte, spürte ich den kühlen Wind vom Wasser herüberwehen. Der Himmel war noch immer nebelverhangen.
    Während ich über das Bootsdeck lief, von dem die Farbe abblätterte, spürte ich Caleb neben mir, seine Hand, die auf meiner Hüfte lag. Er deutete zum Himmel und zeigte mir die Pelikane, die sich ins Meer stürzten, und den Nebel, der sich über die Berge wälzte und alles mit einer weißen Schicht bedeckte. Manchmal ertappte ich mich dabei, wie ich mit Caleb redete, verliebte, stumme Worte murmelte, die nur ich hören konnte.
    Es waren fast drei Monate vergangen, seit ich ihn zum letzten Mal gesehen hatte. Ich lebte in Califia, der Frauen-Siedlung, die vor zehn Jahren in der Wildnis als Zufluchtsort für Frauen und Mädchen gegründet worden war. Wir waren von überall her über die Golden Gate Bridge ins Marin County gekommen. Einige waren nach der Epidemie verwitwet und fühlten sich allein nicht länger sicher. Manche waren gewalttätigen Banden entkommen, die sie als Geiseln gehalten hatten. Andere waren wie ich aus den Schulen der Regierung geflüchtet.
    Als ich damals in dem ringsum eingezäunten Schulkomplex aufgewachsen war, hatte ich jeden Tag zu dem fensterlosen Gebäude auf der anderen Seite des Sees hinübergesehen – zur Berufsschule, auf die wir nach unserem Abschluss gehen sollten. Doch dann hatte ich in der Nacht vor der Zeremonie herausgefunden, dass meine Freundinnen und ich keine Berufe erlernen würden, um zum Aufbau des Neuen Amerika beizutragen. Nachdem große Teile der Bevölkerung von der Seuche dahingerafft worden waren, brauchten sie keine Künstlerinnen oder Lehrerinnen – sie brauchten Kinder. Und unser Schicksal war es, sie zu liefern. Ich konnte gerade noch entkommen, allerdings nur um herauszufinden, dass mein geplantes Schicksal noch viel schlimmer war. Als Abschlussrednerin und Jahrgangsbeste der Schule war ich dem König zur Frau versprochen worden, um seine Kinder zu gebären. Nun war er auf der Jagd nach mir und er würde die Suche erst aufgeben, wenn ich innerhalb der Mauern der Stadt aus Sand eingesperrt war.
    Ich kletterte die Leiter bis zur obersten Kajüte hinauf. Vor einer zerbrochenen Frontscheibe und einem Steuerrad, das so verrostet war, dass es sich nicht mehr drehen ließ, standen zwei Stühle. Aufgeweichtes Papier türmte sich in den Ecken. Ich durchwühlte die Schränke unter den Armaturen nach Konservendosen, verwertbaren Kleidungsstücken, Werkzeugen oder anderen Gegenständen, die ich mit in die Stadt zurücknehmen könnte. Ich stopfte einen Metallkompass und ein ausgefranstes Plastikseil in meinen Rucksack.
    Wieder zurück an Deck, ging ich, das Hemd vor die Nase haltend, auf die Hauptkabine zu. Ich schob die gesprungene Glastür auf. Drinnen waren die Vorhänge zugezogen. Auf einem Sofa lag eingesunken in die modrigen Polster eine in eine Decke eingewickelte Leiche. Ich bewegte mich schnell und achtete darauf, durch den Mund zu atmen, während ich mit der Taschenlampe die Schränke ableuchtete und eine Konservendose ohne Etikett und einige feuchte Bücher fand. Ich sah mir gerade die Schäden an den Büchern an, da schwankte das Boot leicht unter meinen Füßen. In der Schlafkabine unter mir tappte jemand herum. Ich nahm das Messer und drückte mich gegen die Wand neben der Kabinentür, dann lauschte ich auf Schritte.
    Die Treppen unten knarrten. Ich umklammerte das Messer. Auf der anderen Seite der Tür konnte ich jemanden atmen hören. Durch die Vorhänge fiel Licht, ein Sonnenstrahl tanzte über die Kabinenwand. Kurz darauf flog die Tür auf.
    Eine Gestalt huschte herein. Ich packte sie am Kragen und riss sie zu Boden. Ich warf mich auf sie, drückte ihre Schultern mit den Knien auf den Boden und die Messerklinge an ihren Hals.
    »Ich bin’s!« Quinns dunkle Augen sahen mich an. Sie konnte die Arme nicht heben.
    Ich lehnte mich zurück, mein Herzschlag beruhigte sich. »Was machst du hier?«
    »Dasselbe wie du«, sagte sie.
    Während des Kampfes war mir das Hemd von Mund und Nase gerutscht, der Verwesungsgeruch im Raum drehte mir den Magen um. Ich half Quinn so schnell ich konnte auf. Sie klopfte ihre Kleider im
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