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Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Titel: Kein Kind ist auch (k)eine Lösung
Autoren: T Wolf
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Für dich, Mama
    Ich hatte mich
    Ich hatte mich seit Tagen auf das Treffen an diesem Freitag gefreut. Nicht nur weil es mich von dem Gedanken ablenkte, dass wieder ein langweiliges Wochenende vor der Tür stand, an dem alle mit ihren Kindern und Männern beschäftigt waren, sondern auch weil man mit Birgit so herrlich quatschen und lästern konnte. Sie war eine Königin im Erzählen. Bis vor einem knappen Jahr hatte ich ihre persönlichen, oftmals brüllend komischen Berichterstattungen täglich genießen dürfen, denn wir hatten zusammen bei Hamburgs beliebtestem Radiosender »99,9« gearbeitet – sie als leitende Redakteurin der Sendung, ich als Moderatorin. Inzwischen war sie nicht nur eine meiner besten Freundinnen, sondern auch für die Klatsch- und Tratschseite der größten Tageszeitung Hamburgs zuständig, weshalb sie die gesamte High Society dieser schönen Stadt kannte.
    Birgit zu treffen war besser als beim Friseur Gala zu lesen. Dabei sah sie selbst aus, als wäre sie gerade vom Laufsteg gehüpft, um sich zwischen zwei Kollektionen eben mal mit mir zu unterhalten. Um es kurz zu machen: Birgit hatte das, was wir alle gerne hätten – volles Haar, volle Brüste, volle Lippen, voll schöne Haut, ein volles Portemonnaie –, und war dabei auch noch voll nett.
    Voll fies, wie ungerecht manche Dinge verteilt waren.
    Außerdem wusste sie immer alles. Wer, wann, was mit wem hatte und wo. Letzteres war ein wichtiger Punkt. Denn nicht selten lief es schließlich parallel … da musste manch einer gezwungenermaßen kreativ werden. Woher sie all diese internen und intimen Details hatte, hab ich sie nie gefragt. Es ging mich ja auch nichts an. Hauptsache, sie erzählte mir alles.
    Wir trafen uns um 17 Uhr im bereits gut gefüllten Café Paris am Rathausmarkt. Ohne meine Tischreservierung hätten wir gleich rückwärts wieder rausgehen können oder wären vermutlich gar nicht erst reingekommen. Stimmengewirr empfing uns. Ein Kellner in weißem Hemd, schwarzer Fliege und schwarzer Schürze zeigte mit dem Finger Richtung Fenster. Ah, da waren unsere Plätze.
    Eigentlich ein ganz normaler Freitagnachmittag – bis dahin. Uns war gerade der erste Prosecco serviert worden, da schrie Birgit auf. Sie warf ihre langen braunen Haare mit Schwung nach hinten, saß plötzlich da, als hätte sie einen Stock verschluckt – ein sicheres Zeichen dafür, dass sie nachdachte –, und hielt eine Sekunde inne. Dann machte es anscheinend »klick« bei ihr. Sie riss die Augenbrauen hoch, sodass ich auch bei ihr zum ersten Mal so etwas wie das Anfangsstadium einer Falte entdecken konnte, und stöhnte, als hätte sie Schmerzen: »Oh Gott!«
    »Alors, ischt etwas mit die Prosecco, Madame?«, fragte der Kellner, an dem nicht nur der Dialekt sexy war. Der Arme war erschrocken stehen geblieben und zu uns zurückgekommen.
    »Nein, nein, danke. Äh, merci. Charly, ich muss sofort los. Sorry. Das ist mir ja noch nie passiert. Moment, ich gebe dir Geld für den Prosecco. Ach, Mist. Ich muss mal schnell telefonieren. So eine Scheiße! Wie konnte ich das denn vergessen?« Alle drehten sich zu uns um. Alle.
    Während sie in ihrer Geldbörse kramte und in regelmäßigen Abständen versuchte, ihre Haare daran zu hindern, immer wieder nach vorne zu fallen, drückte sie hektisch auf dem Display ihres iPhones herum. In solchen Momenten, wenn sie so steif und vor allem unbequem gerade dasaß, dass man schon vom Hinsehen Rückenschmerzen bekam, schien sie immer vergessen zu haben, dass der Ballettunterricht längst vorbei war.
    »Ich bin’s. Wo bist du? Auf dem Weg zum Flughafen? Heute? Das geht nicht. Du musst den Flug absagen und sofort nach Hause kommen. Du weißt schon … Ja! Heute. Also um genau zu sein: jetzt.« Pause.
    »Nein, wir haben nur noch ein paar Stunden, du weißt doch. Kannst du denn Budapest nicht verschieben? Was ist dir denn nun wichtiger?«
    Pause.
    »Entweder du sagst dem Taxifahrer, er soll auf der Stelle umdrehen oder … oder …«
    Absolute Stille im Raum. Alle warteten. Ich schaute sie fragend an.
    »Oder du kannst die Reste deines neuen Flachbildschirms von der Straße aufkehren, wenn du zurückkommst!«
    Ein Raunen ging durch das Café.
    »Und deine Klamotten auch!«
    Pause.
    »Okay. Dann bis gleich.«
    Sie legte ihr iPhone weg und lächelte mich an, als wäre nichts passiert. Inzwischen hatte ich meine Augenbrauen hochgezogen.
    Birgit hätte fast den wichtigsten Termin des Monats vergessen: ihren Eisprung! Und wenn es erst
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