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Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Titel: Kein Kind ist auch (k)eine Lösung
Autoren: T Wolf
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gerade auf einer Leiter und drehte an einem Punktstrahler. Er arbeitete für die Veranstaltungsfirma, die aus unserer Eingangshalle im Sender eine Tanzfläche zauberte – und aus mir eine Frau mit gut durchblutetem Gesicht, was man Gott sei Dank bei dem Licht nicht sah. Dass ich nicht die Einzige war, die ihn gerne mit nach Hause genommen hätte, sah ich den anderen an – den Vergebenen und Verheirateten. Tja, Pech.
    Ich hatte ihn bekommen. Zumindest für knapp sechs Jahre. Immerhin. Die ersten drei Monate nach unserer Trennung beziehungsweise seinem Rausschmiss aus meinem Leben verbrachte ich mit einer kleinen, braunen, rechteckigen Fünfhundert-Kalorien-Ersatzbefriedigung. Mit Nuss, ohne Nuss, feinherb oder fair gehandelt. Egal. Und vor allem: nicht mit einer, mit einigen . Danach hatte ich einige Kilo mehr auf der Waage. Vor dem Verzehr von Schokolade sollte aber auch wirklich stärker gewarnt werden. Und dass sie als Ersatzbefriedigung diente, konnte auch nur jemand behaupten, der keine Ahnung davon hat.
    Jedenfalls musste ich mir nach diesen ersten zwölf Wochen nicht nur dringend meinen Freund – ich meine natürlich Exfreund – aus dem Hirn schlagen, ich musste mir außerdem noch meine Lust auf Schokolade abgewöhnen. Leichter gesagt als getan. Schließlich sollte der Genuss von Schokolade glücklich machen. Nur die Nebenwirkungen nicht. Pickel und ein Po wie ein Pferd. In diesem Zustand würde ich als Single sterben. Zu Recht.
    Das Sofa war unsere Oase gewesen – an Freitagabenden wie diesem. Dann aßen wir als Hauptgang Pasta, nicht Schokolade, und zwar von Tellern, nicht aus Töpfen, so wie ich jetzt. Ich zündete Kerzen an, und wir erzählten uns, was während der Woche alles passiert war. Da er viel unterwegs war, kamen wir in der Woche kaum dazu, uns in Ruhe zu unterhalten. Er arbeitete abends oder nachts für seine Veranstaltungsfirma, ich tagsüber beim Radiosender. Irgendwann musste er immer öfter auch an den Wochenenden arbeiten, an Feiertagen, Geburtstagen. So liefen wir immer häufiger aneinander vorbei. Bis nichts mehr lief. Zumindest nicht zwischen uns. Dafür lief etwas, wovon ich lange nichts ahnte …
    Mir war der Appetit vergangen. Erst stellte ich den Topf weg. Alleine essen schmeckte einfach nicht. Dann machte ich den Fernseher aus. Ich hatte eh nicht hingeschaut.
    Ich versuchte, mich mit der Zukunft von der Vergangenheit abzulenken, und grübelte darüber nach, was Ilka mir am nächsten Morgen erzählen wollte. Weil mich der Gedanke daran so beschäftigte, dass ich später auch nicht einschlafen konnte, kramte ich meinen iPod unter dem Kissen hervor und hörte mir »Die drei Fragezeichen und die Botschaft von Geisterhand« an.
    *
    Der nächste Tag war ein Samstag. Aber obwohl die Sonne an einem makellos blauen, wolkenfreien Himmel schien, war es kein guter Samstag. Das hätte ich schon ahnen müssen, als ich mich nach meinen Strümpfen bückte und mir den Kopf an der geöffneten Schublade meiner Kommode stieß. Das musste man erst mal hinbekommen.
    »Charly, ich … ich bin schwanger!«, platzte es um 10:03 Uhr aus Ilka heraus, noch bevor ich meine Jacke ausgezogen und meinen Hintern samt Hocker an einen der Bistrotische geschoben hatte.
    Ich musste heulen, und zwar auf Knopfdruck.
    Gott sei Dank drehten die drei Portugiesinnen hinter dem Tresen in diesem Moment ihre Lieblings-Salsa-CD auf volle Power und sangen lauthals mit Marc Anthony um die Wette. Ilka drehte sich, wie alle anderen, zu den gut gelaunten, hüpfenden Hüften um, und so konnte ich unbemerkt ein Taschentuch aus der Jackentasche ziehen. Mir liefen Tränen übers Gesicht, und ich hatte nicht einmal Zeit, darüber nachzudenken, ob ich vor einer halben Stunde im Badezimmer den wasserfesten Mascara benutzt hatte oder nicht, während ich sie wegwischte. Es war eine Mischung aus Weltschmerz und purer Verzweiflung, die mich erfüllte. Und trotz all der Menschen, die dicht an dicht in diesem kleinen Café um mich rumsaßen, fühlte ich mich wie Juri Gagarin im Weltall.
    Bis vor zwei Minuten war Ilka im Grunde meine letzte Verbündete gewesen. Sie war meine Rettung, wenn ich jemanden suchte, der mit mir auf eine Party ging und nicht um 22 Uhr ins Bett wollte, sondern auch noch um 7 Uhr auf dem Fischmarkt stand, wenn der Rest meiner Freundinnen gerade das dritte Mal stillte. Sie war diejenige, mit der ich mich verabreden konnte – ohne Rücksicht nehmen zu müssen. Wir waren frei, konnten in jedes Café gehen, egal, ob da
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