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Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Titel: Kein Kind ist auch (k)eine Lösung
Autoren: T Wolf
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Platz für einen Kinderwagen war oder nicht. Egal, ob geraucht wurde und ob es auf dem Damenklo eine Wickelablage gab oder nicht. Egal, ob man entkoffeinierten Espresso und Sojamilch bekommen konnte oder nicht.
    Mir wurde schwindelig.
    »Hey, alles okay?«, hörte ich Ilka von weither fragen, dabei war sie nur ein paar Zentimeter entfernt.
    »Alles gut«, antwortete ich wie benommen, nahm völlig ferngesteuert mein Telefon aus der Tasche und blätterte im Adressbuch. Zwischendurch schaute ich kurz zu ihr hoch.
    Ilka lächelte. Ilka lächelte, seitdem ich sie kannte. Das gehörte zu ihr wie ihr Bubi-Haarschnitt, aber es war nicht mehr das alte Ilka-Lächeln. Früher hatte es etwas Verführerisches. Es war sexy. Jetzt war es sanft. Schrecklich sanft. Ein klares Symptom für den Virus – den Kindervirus. Und ich dachte, sie wäre immun. Innerhalb von Sekunden liefen unsere gemeinsamen Jahre, lief diese ganze wundervolle Freundschaft vor mir ab. So wie ich es mir vorstellte, wenn man starb. Alles noch mal im Schnelldurchlauf: wie wir uns kennenlernten, die Nächte auf dem Kiez, Urlaub auf Ibiza, Unterwäschekauf mit anschließendem Catwalk auf der Rolltreppe des Alsterhauses, bis der latent dumme, aber sehr attraktive Security-Typ vor uns stand, das Abführmittel für Pferde im Cocktailglas von diesem miesen …
    »Charly?«
    »Ja?«
    »Wem willst du denn schreiben, dass ich Mama werde?«
    »Eigentlich keinem. Ich wollte nur kurz etwas gucken.«
    Ich wollte nur kurz mal nachsehen, ob es wirklich niemanden mehr gab – ohne Kind.
    Kurze Zeit später stand fest, was ich schon geahnt hatte. Unter »Z« stand nur die Zeisehalle, und davor war auch nix mehr. Nix ohne »Bauch« oder »Zwerg«. Abgesehen von Leo, die inzwischen in der Hauptstadt wohnte, und Birgit. Aber irgendwas sagte mir, dass ich sie demnächst auch abschreiben konnte.
    Ich sah Ilka an und überlegte, was es kosten würde, im Hamburger Abendblatt eine Anzeige aufzugeben:
    Plötzlich und völlig unerwartet trennten sich unsere Wege. Wir sollten nicht traurig sein, sondern glücklich und dankbar für die gemeinsame Zeit.
    Wir nehmen Abschied von unserer Freundschaft.
    geb. am 20. 6. 1973, gest. am 20. 3. 2010
    Charly und Ilka
    Wir werden uns nie vergessen.
    »Komm. Lass uns anstoßen. Mit Prosecco geht es jetzt zwar nicht mehr, aber ein heißer Kakao reicht doch auch, oder?«
    Klar. Lieber stoße ich mit Kakao an als mit Prosecco. Ist ja auch viel gesünder …
    Ich wollte nicht mehr leben.
    »Hast du eine Idee, wie ich es Max sagen soll? Ich habe überlegt, ob ich den Schwangerschaftstest in ein Kästchen lege und als Geschenk verpacke? Oder ich warte noch etwas und mische das erste Ultraschallbild unter unsere Urlaubsfotos, die ich noch nicht zum Entwickeln gebracht habe. Was denkst du?«
    Ich dachte gar nichts. Zumindest nicht an Ultraschallbilder. Doch plötzlich funktionierte mein Hirn wieder.
    »Der Hase weiß es noch nicht?«
    »Nein. Bisher weißt nur du es.« Sie überlegte. »Und meine Mutter. Ach, ja und meiner Schwester habe ich es eben auf dem Weg hierher auch gesagt, sie rief gerade an. Aber sonst weiß es keiner.« Sie überlegte anscheinend weiter. »Na ja, Ursula, meine Nachbarin. Die hat nämlich auch gerade ein Kind bekommen, da dachte ich mir, sie freut sich sicherlich, wenn ich ihr sage, dass der Kleine bald schon jemanden zum Spielen hat.«
    Wo es ja auch in einem Umkreis von dreißig Kilometern sonst keine Kinder gab. Sie tat ja, als lebten wir auf einer Hallig.
    Vor uns am Tisch stand plötzlich ein etwa Dreijähriger, beugte sich über Ilkas Becher, sah ihren heißen Kakao, den man ihr inzwischen vor die Nase gestellt hatte, und schrie: »Kacka! Kacka!« Dabei zeigte er immer wieder lachend mit seinem kleinen Wurstfinger in den Becher. Er fand seine Entdeckung urkomisch und kriegte sich vor Lachen gar nicht mehr ein.
    Ich mag fröhliche Kinder, dachte ich und sah mich in dem kleinen Café um, in dem es lediglich fünf Tische gab. Zu wem gehörte dieses Kind bitte?
    »Nur der Hase weiß es noch nicht?«
    Ich schaute Ilka ins Gesicht, die vergessen hatte mit dem Lächeln aufzuhören. Sie sah das Wurstfingerkind an, und dann hörte ich es leise aus ihrem Mund: »Süüüß.«
    »Süß?! Ilka, wach mal auf. Wann willst du es ihm denn sagen? Noch vor der Einschulung?«
    »Sei doch nicht so zickig. Wenn der richtige Moment gekommen ist.« Sie rührte mürrisch in ihrem Kakao. »Hast ja recht. Ich glaube, ich drück mich noch etwas. Was mach
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