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Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Titel: Kein Kind ist auch (k)eine Lösung
Autoren: T Wolf
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vergehen, sondern auch weil ich dringend einen Tapetenwechsel brauchte. Wir hatten uns zur Abwechslung mal wieder im Café Paris verabredet, obwohl Micha ja meinte, ich solle Birgit doch zu uns einladen, er könne gerne etwas kochen.
    Hallo? Ich wollte mit meiner Freundin quatschen. Das ging nicht, wenn nebenan ein Mann am Herd stand. Außerdem ging mir seine mütterliche Art zwischendurch echt auf die Nerven. Wenn es nach ihm ginge, läge ich bräsig wie ein gestrandeter Pottwal auf dem Sofa – angekettet – und ließe mich von ihm mästen. Dabei hatte ich inzwischen Maße, die jenseits von Gut und Böse waren.
    Also reservierte ich einen Tisch und saß, pünktlich um 17 Uhr am Freitag vorne links an einem der kleinen Bistrotische.
    Ich sah mich um. Irgendwie roch es hier nach Rauch. Dabei war das doch seit hundert Jahren verboten. Merkwürdig, ich hätte schwören können, dass direkt hinter mir jemand saß und paffte. Vermutlich ein Raucher, der seine Klamotten dringend lüften sollte. Oder reinigen. So ein penetranter Gestank! Steckten die Leute ihre Klamotten eigentlich nie in die Waschmaschine? Wozu wurde das Ding denn erfunden?
    Da sah ich Birgit durch die Fensterscheibe auf das Café zukommen. Eigentlich also ein ganz normaler Freitagnachmittag. Bis zu diesem Moment.
    Birgit stand gerade vor mir, um mich zu begrüßen, ich quälte mich mit meinen gefühlten sieben Tonnen vom Stuhl hoch, beugte mich zu ihr rüber, um sie zu umarmen, da passierte es: Es wurde nass. Nicht draußen, sondern drinnen. Ein Schwall Wasser lief an meinen Beinen runter, als würde ich im Stehen pinkeln. Hier, mitten im Café. Weil mir gerade danach war.
    Das glaube ich jetzt nicht, war mein erster Gedanke. Überall, aber doch nicht hier! Nicht jetzt! Ich setzte mich wieder. In meine eigene Pfütze.
    Birgit hatte sich inzwischen auch gesetzt und quasselte los.
    »Birgit …«, doch Birgit erzählte und erzählte. Ich versuchte es noch mal.
    »Birgit, ich …«, keine Chance.
    Dann eben etwas lauter.
    »Birgit!«
    Alle drehten sich zu uns um. Alle.
    Birgit sah mich völlig entsetzt an, als wäre ich nicht ganz dicht. War ich ja im Grunde auch nicht. Ich war ausgelaufen. Komplett.
    »Was ist denn? Alles gut?«, fragte sie sichtlich beunruhigt.
    »Nein, nichts ist gut. Ich muss hier weg. Und zwar möglichst unauffällig«, zischte ich und versuchte sie auf mein Feuchtigkeitsproblem aufmerksam zu machen.
    »Warum denn … ich bin doch gerade erst angekommen. Gefällt es dir hier nicht? Ist es zu voll oder zu eng?«, sie sah die Frau am Nebentisch vorwurfsvoll an, die sich mit ihren zig Einkaufstüten und zwei Hunden breitgemacht hatte. Im Gegensatz zu meiner Freundin hatten die übrigens inzwischen mitbekommen, das etwas unterhalb meines Stuhles war, das da nicht hingehörte und zogen wie wild an ihren rosa Leinen.
    »Mir ist es nicht zu eng, aber der da drinnen wird’s gerade zu eng!«, ich zeigte auf meinen Bauch.
    »Charly!«, schrie Birgit, als wüsste ich nicht, wie ich heiße.
    Ich kramte mein Handy raus, dann drückte ich erst auf »Favoriten«, dann auf Michas Nummer.
    »Soll ich irgendwas tun?«, fragte sie mich in der Sekunde, als Micha abnahm.
    »Hi, ich glaube, es wäre ganz gut, wenn du dich mal auf den Weg machen würdest … Nein, nicht ins Cafè … Ja, ich denke schon.« Ich holte tief Luft. »Micha, mach mich nicht wahnsinnig! … Ja, das weißt du doch!«
    Die Leute um uns rum hörten zu. Ich war wohl immer noch etwas zu laut, wobei meine Lautstärke zu den Themen gehörte, die mich in diesem Moment absolut nicht interessierten.
    »Um Gottes willen. Sag nicht … Oh, Gott, wirklich? Jetzt?«, fragte Birgit, die inzwischen größere Kulleraugen hatte, als die Kühe auf dem Bauernhof, auf dem ich früher manchmal meine Ferien verbracht hatte.
    »Ja, Micha. Das, wo wir zusammen waren … Ja, das, wo es im Kreißsaal auch die Wanne gibt … Nein, nicht morgen früh. Jetzt!«
    Oh Gott, wie sollte das bloß werden, wenn er jetzt schon so neben sich stand. Betreutes Wohnen – ich sah es schon kommen.
    Während Birgit mich ansah, als bräuchte ich dringend eine Sauerstoffmaske, kam der Kellner mit den Karten.
    »Kann isch Ihnen schon etwas bringen?«, fragte er höflich.
    »Ja, eine Flasche Champagner. To go!«, schrie ich ihn an und setzte noch einmal nach: »Und ein Taxi ins Marienkrankenhaus, sofort !«

Danken möchte ich …
    … meiner Mutter, in der Hoffnung, dass sie es sieht – dort, wo sie jetzt ist. Sie hatte sich
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