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Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Titel: Kein Kind ist auch (k)eine Lösung
Autoren: T Wolf
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darum, sie zu beschützen, legte sich Huberta zu meinem Erstaunen mit in den Korb und leckte die Kleinen ab, als wären es ihre eigenen!
    Wo gab es denn so was? Oder war sie eigentlich lesbisch und heilfroh, dass Waltraud ihr den Mann vom Hals hielt? Wie auch immer, ich hatte Hochachtung vor Huberta. Diese Möpse führten ein modernes Leben. So oder so.
    Wen interessierte da schon, dass Weihnachten war? Ach ja, Michas Eltern.
    Als Hans plötzlich neben mir stand und fragte, ob ich käme, war der Rock vor lauter Hin- und Hergerutsche inzwischen nicht mehr knielang, sondern eher hüftkurz. Ich stand wenig elegant auf, legte die Würmer zurück zu Waltraud, zog den Rock wieder auf seine ursprüngliche Länge runter und folgte ihm.
    Ich wurde ins Kaminzimmer geschoben, wo ein riesiger, mit rotem und silbernem Allerlei behängter Weihnachtsbaum stand, der so groß war, dass ich mich fragte, ob sie kurz mal das Dach angehoben hatten, um ihn hier aufstellen zu können.
    Auf alle Fälle hatte hier alles seine Ordnung, so viel stand fest. Das sah ich, als wir schließlich weiter ins Esszimmer gingen. Die Tische waren mit einem Perfektionismus geschmückt, der mir völlig fehlte. Die Plätze waren vergeben, nicht irgendwie, sondern mit System: Micha und ich saßen am Tisch der »Kinderlosen«. Ich kam mir etwas abgeschoben vor, so ganz am Ende der Tafel, beinahe als wäre Kinderlosigkeit eine ansteckende Krankheit.
    Ganz vorn saßen Michas Eltern nebeneinander, dann seine Schwester Anni mit Mann und Kindern, sein Bruder Johannes mit Frau und Kindern, und ihnen gegenüber Moritz und Sarah, die entweder zu viele Bratäpfel gegessen hatte oder schwanger war. Dann kamen wir und neben uns sein kinderloser Bruder Maximilian. Das war es.
    Anni kam mit der vergnügten Rosa auf dem Arm zu mir, um sich für das Strickjäckchen zu bedanken. Dieses Mal wusste ich, was sie meinte.
    Ich fragte, ob ich Rosa halten dürfe. Anni legte sie mir in den Arm und rückte ihren schweren Holzstuhl an meinen ran. Micha unterhielt sich mit seinem Vater, alles wuselte durcheinander.
    Nach dem Essen, als wir anfingen, die Geschenke auszupacken, war Schluss mit der Ordnung. Auch mit der in meinen Gefühlen, denn ich merkte plötzlich, dass ich einen dicken Kloß im Hals hatte.
    War ich eigentlich noch ich selbst?
    Vermutlich war es das Weihnachtsfest an sich, das schuld war, oder irgendwer hatte mir heimlich etwas in mein Getränk gerührt. Nächste Woche, nein, morgen früh nach dem Aufwachen würde ich über mich selbst lachen können.
    Anni philosophierte über den »richtigen Zeitpunkt«, um Kinder zu bekommen, den es nachweislich nicht gab, und über die Frage, wie viele Kinder optimal waren.
    Und da traf es mich wie ein Blitz: die Erkenntnis, dass es mich nicht störte. Es nervte mich nicht! Ich hörte zu, sogar interessiert! Und dabei blieb es nicht: Ich gab meinen Senf dazu. Endlich konnte ich mein gesammeltes Wissen der letzten Jahre, das ich am Rande irgendwelcher Sandkisten oder Wickeltische unfreiwillig gesammelt hatte, zum Besten geben. Ich gehörte dazu!
    Es sprudelte aus mir heraus, als hätte ich die letzten Jahre ein Pflaster auf dem Mund gehabt, das mir endlich jemand abgerissen hatte.
    Was aber das Ganze noch toppte, war etwas, was mir keiner ansehen konnte: Ich fand es sogar interessant, als Anni mir erzählte, wie sie es schaffte, nicht nur ohne Nerv enzusammenbruch ihre beiden Kinder großzuziehen und sie nebenbei auch noch zu lieben, sondern es auch noch zu genießen und sich jeden Tag über ihre Sprösslinge zu freuen. So etwas gab es! Und sie wünschte sich sogar noch ein weiteres Kind. Wahnsinn.
    Ich fühlte mich tatsächlich wohl. Hier zwischen all diesen gut gelaunten Menschen, den fröhlich lärmenden Kindern, Hunden, Welpen und mit diesem Baby in meinem Arm.
    Ich! Charly Schönberg.
    War das der Anfang? Hatte es bei all den anderen auch so angefangen? War das die »tickende Uhr«? Ein Zeichen?
    Ich musste plötzlich und für die anderen Anwesenden nicht ganz nachvollziehbar lachen, schüttelte den Kopf, sah auf Rosa und sagte ohne sichtbaren Zusammenhang laut: »So ein Quatsch! Das gibt es doch nicht.«
    An die Reihenfolge mit dem Denken und dem anschließenden Reden konnte ich mich immer noch nicht jedes Mal halten. Leider.
    Alle drehten sich zu mir um, als hätte jemand die Musik ausgedreht. Man erwartete anscheinend eine Erklärung von mir.
    »So ein Quatsch«, wiederholte ich. Mein Hirn lief auf Hochtouren. »So ein
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