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Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Titel: Kein Kind ist auch (k)eine Lösung
Autoren: T Wolf
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man wieder abgeben konnte, wenn man genug hatte. Das war’s doch!
    Hanne kannte sich sicher mit so etwas aus. Was eine Patin machte, wie ich mich zu verhalten hatte während der Taufe, und vor allem in den Jahren danach. Die Taufe an sich würde ich schon überstehen, aber was tat eine Patin als solche?
    Hanne hatte – zu meiner Überraschung – sturmfreie Bude. Mann und Kinder waren auf dem Weihnachtsmarkt, gebrannte Mandeln essen.
    »Passt es dir denn wirklich, oder willst du lieber die freie Zeit genießen?«, fragte ich, als sie die Tür mit Gurkenmaske im Gesicht öffnete.
    »Ne, komm rein, ich mach mal eben den Salat runter. Geh doch schon mal ins Wohnzimmer.«
    Wohnzimmer? Hier sah es eher aus wie der Indoor-Spielplatz einer Kita. Überall lagen Bauklötze und Puzzleteile, in der Ecke stand ein Kaufmannsladen und ein Puppenwagen samt Inhalt, und auf dem Boden lagen graue Plastikschienen einer Eisenbahn. Ich stieg darüber und kämpfte mich zum Sofa durch.
    Aua! Mist! Ich war auf etwas Spitzes getreten. Ich sah nach unten. Dass ein einziger Legostein solche Schmerzen verursachen konnte! Himmel. Ich humpelte weiter.
    »Willst du etwas trinken?«, rief Hanne aus dem Bad.
    »Gerne.«
    Mit zwei Bechern heißem Fliederbeersaft kam Hanne kurze Zeit später auf mich zu, ohne einmal auf den Boden zu gucken und ohne irgendetwas, das herumlag, mit ihren Füßen umzustoßen, geschweige denn darüber zu stolpern oder sich zu verletzen. Gekonnt.
    Sie sah zum ersten Mal seit Langem entspannt aus. Oma Altona sei Dank.
    »Meine Güte, das wurde aber auch Zeit. Ich liebe meine Kinder ja wirklich, aber so ein kurzer zeitlicher Abstand zwischen zwei Kindern ist auch nichts für Feiglinge. Irgendwann hatte ich das Gefühl, entweder würde gerade einer in mir drin stecken oder an mir drankleben.« Sie nahm einen Schluck Saft. Mit weinrotem Bart lehnte sie sich zurück und fragte: »Und, was ist bei dir so los?«
    Ich zeigte mit meinem Finger Richtung Lippen. Sie verstand und wischte sich mit der Handfläche über den Mund.
    »Davon abgesehen, dass mein Bild an jeder Bushaltestelle hängt und ich selbst durchhänge, weil ich meine Hundefamilie vermisse, ist alles gut.«
    »Sag mal, schmeckt dir der Fliederbeersaft?«, fragte sie mich.
    »Nein.«
    Wir fingen an, synchron zu lachen.
    »Ich glaube, ich werde Patin«, sagte ich und lenkte das Gespräch unsanft in eine andere Richtung.
    »Du?«
    »Ja. Ich. Ist das so ungewöhnlich?«
    »Na ja, weiß nicht. Eigentlich nicht. Wer ist denn auf die schöne Idee gekommen? Das kann ja nur jemand sein, der dich entweder noch nicht so gut kennt oder die Hoffnung noch nicht aufgegeben hat.«
    »Ersteres. Anni, Michaels Schwester, und ihr Mann Conrad hatten die glorreiche Idee. Was sollte ich denn da sagen? Nein wäre vermutlich unangebracht. Außerdem … die Kleine ist echt so süß. Die hat mich fast zum Schmelzen gebracht. Im Grunde genommen passen wir perfekt zusammen. Sobald sie in meinem Arm liegt, schläft sie ein. Was will man mehr?«
    »Na, da ist sie ja nicht die Erste.« Hanne stupste mir gegen den Oberschenkel. »Ich hol uns mal eben was Anständiges zu trinken, das hier ist ja grauenhaft«, sagte sie, stand auf, nahm mir meinen Becher ab und verschwand.
    »Soso, die Kleine ist also richtig süß, und ihr passt perfekt zusammen«, meinte Hanne mit einem gewissen Unterton, den ich versuchte zu überhören, als sie mit zwei Gläsern Rotwein zurückkam. »Das sind ja ganz neue Töne. Gibt es etwas, was ich noch nicht weiß?«
    »Was denn?«, fragte ich und tat dabei ahnungslos.
    »Na komm, das klingt ja, als hättet ihr schon mal über eine Eigenproduktion nachgedacht. Mir kannst du nichts vormachen!«
    »Ich habe lediglich gesagt, ich finde sie süß. Mehr nicht. Außerdem habe ich ja nie behauptet, eine Verfechterin der Sterilisation zu sein.«
    Die Wohnungstür wurde aufgeschlossen. Eine Zuckerwatte, ein Zwieback und ein Punsch-to-go, verteilt auf mehreren Beinen, kamen herein. Die Zuckerwatte und der Zwieback mussten dringend ins Bett, wie sich schnell rausstellte.
    Wir verabredeten uns für acht Uhr im neuen Jahr zu einem Frauenabend. Den Tag hatten wir noch nicht festgelegt, aber davon gab es ja allerhand.
    *
    Das Fest der Liebe machte mich dieses Jahr doch tatsächlich sanftmütig vor lauter Glück, Liebe oder was auch immer. Ich wurde jedenfalls langsam wirklich wunderlich. Immerhin merkte ich es noch.
    Charly Schönberg, die im letzten Jahr noch allen Liebenden aus dem Weg
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