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Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Titel: Kein Kind ist auch (k)eine Lösung
Autoren: T Wolf
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gegangen war und eine Pärchenphobie entwickelt hatte, backte Kekse. Nicht irgendwelche. In Herzform! Und damit nicht genug. Ich packte sie in Zellophantütchen, so wie ich es in der Brigitte gesehen hatte, wickelte noch eine rote Schleife drum, und jetzt kommt’s: Ich verschenkte sie an alle, die ich mochte. Und auch das waren dieses Jahr mehr als im vergangenen. Diese Aktion sprengte meinen persönlichen Rekord an Weihnachtsgefühl, Sanftmut und Nächstenliebe.
    Der ganze Monat war das komplette Gegenprogramm zu dem letzten Weihnachtsfest. Ob es an all den Lichterketten, der weihnachtlichen Musik in den Einkaufsstraßen oder an zu viel Punsch auf den Weihnachtsmärkten lag, blieb ungeklärt. Auf alle Fälle durchzog eine Gute-Laune-Welle nicht nur mich, sondern die ganze Stadt, so schien es mir. Vom üblichen vorweihnachtlichen Stress war in diesem Jahr kaum eine Spur. Es schneite sogar manchmal.
    Grusel-Günther kam in regelmäßigen Abständen mit Marzipankartoffelbergen auf kitschigen goldenen Plastiktellern vorbei. Meine Mutter flog mit ihrer alten Busenfreundin Ursel nach Fuerte in irgendeinen Club mit lustigen Spielchen, Meerblick und netten Trainern.
    Und Hanne hatte unser letzter Abend so gut gefallen, dass sie fragte, ob wir nicht mal zusammen ein Frauenwochenende auf Sylt machen wollten. Nur wir beide. So wie früher. Sie habe in irgendeiner Zeitschrift so ein tolles Hotel direkt am Strand entdeckt, das sei genau das Richtige für uns.
    Ich kam aus dem Staunen gar nicht mehr raus.
    Sogar Ilka konnte wieder lachen. Sie hatte sich in einen alleinerziehenden Vater eines Kindes aus ihrer Gruppe verliebt – glücklicherweise er sich auch in sie. Den würde ich demnächst mal unter die Lupe nehmen, sofern ich den 24. Dezember überleben sollte. Denn wir würden ihn gemeinsam mit Michas Großfamilie in Mönkeberg feiern. Ich war wirklich nicht mehr ich selbst.
    Heiligabend hin oder her. In Wahrheit freute ich mich nur aus einem Grund darauf: weil ich endlich Waltraud und die Kleinen wiedersehen würde.
    Micha wollte unbedingt etwas zum Festessen beisteuern, und so standen wir nach mehr als zwei Stunden Fahrt durch eine Schneelandschaft mit Entenpastete unterm Arm vor der Tür seiner Eltern.
    Kaum waren wir im Haus, wurde uns alles abgenommen: das Gepäck, die Tüten mit den Geschenken, die Mäntel, und wir wurden gefragt, was wir trinken und ob wir singen wollten. Ich kam mir vor wie in einem dieser amerikanischen Filme über Familienfeste an Weihnachten, in denen meist erst alles eitel Sonnenschein war und dann eine Katastrophe die nächste jagte. Letzteres beunruhigte mich.
    Waltraud hatte ich eine rote Schleife mitgebracht, die ich ihr nach einer feuchten Begrüßungszeremonie um den Hals band. Ich wollte nicht, dass sie sich neben den röchelnden Leberwürsten mit ihren blauen und rosa Schleifchen, die um uns rumtänzelten, nackt und unwohl fühlte.
    Zu allem Überfluss hatte ihnen Josephine Wilhelmine auch noch kleine Glöckchen an die Schleifen gebunden. Nicht zum Aushalten! Wenn mir das schon nach fünf Minuten den letzten Nerv raubte, wie mochte es da den Würsten gehen, die sie tragen mussten?
    Waltraud war von dem Gebimmel weniger beeindruckt als ich und führte mich voller Stolz zu ihren Kindern. Ich kniete mich vor den Korb und hätte mich am liebsten gleich mit reingelegt. Waltraud stieg hinein und wartete anscheinend darauf, dass ich sie für diese großartige Leistung lobte. Und das tat ich.
    Ich wusste gar nicht, wen ich zuerst aus dem Körbchen nehmen sollte. Einer war süßer als der andere! Ich würde auf Hundezüchterin umschulen. Sofort.
    Leider war die Ähnlichkeit mit Hugo inzwischen nicht nur bei einem der Lütten zu sehen, aber Liebe machte eben doch blind – zumindest Mutterliebe. Und irgendwie musste ich ja zugeben, dass ich fast schon so ein Gefühl entwickelte.
    Ich kriegte mich gar nicht mehr ein und vergaß sowohl den Grund, weshalb wir eigentlich hier waren, als auch die Tatsache, dass ich zur Feier des Tages einen knielangen Rock angezogen hatte. Ich setzte mich an die Wand gelehnt auf den Boden neben meine Kleinen und versuchte, mit meinen zwei Händen alle gleichzeitig zu streicheln und zu beschmusen.
    Hugo und Huberta schienen eine offene Beziehung zu führen, wie man so schön sagte. Sie lebten in einer Art Kommune, zumindest interpretierte ich das, was ich sah, so. Während Hugo erhobenen Hauptes neben dem Korb mit seinen Kindern und seiner Zweitfrau stand, als ginge es
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