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Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Titel: Kein Kind ist auch (k)eine Lösung
Autoren: T Wolf
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dann wieder zurück in die Tasche gesteckt hatte, rief ich sie an.
    Was hatte ich schließlich zu verlieren? Im Grunde konnte ich nur gewinnen, versuchte ich mir einzureden.
    Sobald der Weihnachtsblues und mit ihm diese ganze Harmonie erst einmal vorbei wäre, würde Micha sich wieder an seinen Wunsch zur Weitergabe seines Erbgutes erinnern. Also. Wenn ich schon nicht wirklich wusste, was ich wollte, warum fragte ich nicht jemand anderes um Rat. Musste ja keiner wissen.
    Marlene war eine moderne Hellseherin. Wir verabredeten uns per WhatsApp für die erste Januarwoche. In weiser Voraussicht erst für Mittwoch.
    Bis dahin war ich mit anderem beschäftigt, als mir die Karten legen zu lassen: Kater bekämpfen!
    Unsere erste Silvesterparty, die wir zusammen auf dem Kiez, erst im Schmidts Tivoli und dann noch in manch einer Bar verbracht hatten, war schlimmer als alles, was ich jemals am 31. Dezember erlebt hatte. Zumindest was das Mixen von Getränken anging. Schlimm. Und dumm. Oder vertrug man im Alter einfach nicht mehr so viel? Ich hatte jedenfalls einen Jahrhundertkater. Man hätte mich ohne Probleme als Versuchskaninchen benutzen können. Drei Tage lang. Ich war fest davon überzeugt, mindestens die Hälfte aller noch vorhandenen Gehirnzellen in jener Nacht verloren zu haben. Und ich hoffte, dass es allen anderen auch so ging, wenigstens denen, die mich in der Thai-Bar beim Karaokesingen beziehungsweise –krakeelen gehört hatten.
    *
    Mittwoch war ich immerhin wieder in der Lage, zu Marlene zu fahren, auch wenn meine Stimme sich immer noch anhörte, als hätte ich Lachgas eingeatmet.
    Mein Hirn hatte vermutlich einen Schaden davongetragen, mein Gehör leider nicht. Und eines stand fest: Marlenes Stimme war noch schlimmer als meine. Meine würde ja, vermutlich eines schönen Tages, wieder normal sein. Ihre nicht. Und erschwerend kam hinzu: Ihre Stimme passte nicht zum Rest.
    Ich war völlig perplex, als sie ihre Haustür öffnete. Sie klang wie eine kleine Maus, war aber das genaue Gegenteil. Na, da hatten sich ja zwei gefunden!
    Sie hatte, was ihre Stimme betraf, einen Hauch von Verona Dingensbummens. Wie hieß die noch gleich? Da-werden-Sie-geholfen-Piepsstimmen-Veronika. Sollte mir recht sein, Hauptsache sie half mir – wirklich.
    Ich war kurz davor, mich zu entschuldigen, weil ich dachte, ich hätte auf die falsche Klingel gedrückt. Vor mir stand eine Frau, die mindestens einen Kopf größer war als ich, wobei ich mit über einem Meter siebzig durchaus nicht klein war. Sie hatte ketchuprote Haare, die sie hochgesteckt trug, so dass man nicht sagen konnte, wie lang sie waren. Ihre Arme waren bis zu den Handgelenken tätowiert, was sofort ins Auge fiel, da sie die Ärmel ihrer schwarzen Strickjacke leicht hochgeschoben hatte.
    Egal, was sie mir gesagt hätte, ich hätte es sofort befolgt. Keine Frage. Solche Frauen hatten doch normalerweise verrauchte, dunkle, kratzige Stimmen mit einem Hauch von Joe Cocker.
    Sie trug eine schwarze Lederhose und schwarze Chucks. Um ihren Hals hing eine großgliedrige silberne Kette mit einem Totenkopf als Anhänger, dessen Augen funkelten. Ich überlegte, ob ihr Freund daran hin und wieder eine Leine befestigte, um mit ihr Gassi zu gehen.
    »Hi, da bist du ja. Komm rein«, piepste sie mit ihrer dünnen Stimme und machte einen Schritt zurück.
    Vielleicht war sie ja auch an dem Abend in der Thai-Bar gewesen? Ich konnte mich nicht erinnern.
    Gab es bei Frauen auch so etwas wie einen Stimmbruch? In dem Alter?
    Ihr Wohnzimmer brachte mich erneut zum Staunen. Sie sammelte Porzellankatzen. Etwas Kitschigeres hatte ich in meinem gesamten Leben noch nicht gesehen. Auf den Holzregalen, dem weißen Sideboard, dem Fensterbrett, überall standen oder lagen sie, in Braun, Weiß, Schwarz und getigert. Nur die auf dem Sofa war echt.
    »Fräulein, mach mal Platz«, befahl sie, und das Fräulein sprang von der Sitzfläche des alten cognacfarbenen Ledersofas.
    Meinte sie das mit den Katzen ernst, oder stand sie einfach auf Kitsch? Auf alle Fälle meinte sie es mit mir ernst.
    »Setz dich«, sagte sie und schob sich selbst einen der schweren Ledersessel näher an den flachen Glastisch heran.
    Ihre Hüfte war breit, ihr Busen groß, ihr Herz anscheinend auch.
    »Ich unterstütze die Vermittlung von Katzen aus Spanien an Familien oder Leute hier in Hamburg. Nachdem ich mal im Urlaub einen Müllsack mit weggeworfenen Katzenkindern im Straßengraben gefunden habe, kann ich nicht mehr anders. Na ja«,
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