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Verbotene Früchte - Spindler, E: Verbotene Früchte

Verbotene Früchte - Spindler, E: Verbotene Früchte

Titel: Verbotene Früchte - Spindler, E: Verbotene Früchte
Autoren: Erica Spindler
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PROLOG
    Vacherie, Louisiana, 1959
    Hope Pierron saß auf dem Fenstersitz ihres Schlafzimmers in der zweiten Etage und blickte auf den Mississippi hinab. Begierige Erwartung und Aufregung beherrschte sie mit eiserner Disziplin. Ihr ganzes Leben hatte sie auf diesen Tag gewartet. Sie würde sich jetzt nicht verraten, indem sie zu viel Eifer zeigte.
    Sie presste eine Hand gegen das sonnenwarme Glas und wünschte, es zerbrechen und hinausfliegen zu können in die Freiheit. Oft hatte sie sich in ihren vierzehn Jahren, die sie gefangen in den roten Mauern dieses Hauses verbracht hatte, danach gesehnt, wie ein Vogel davonzufliegen. Ab heute brauchte sie sich keine Flügel mehr zu wünschen. Ab heute war sie befreit von diesem Haus und dem Stigma der Sünde. Befreit von ihrer Mutter und allen, die sie kannte.
    Heute wurde sie neu geboren.
    Hope schloss die Augen, um an ihre Zukunft zu denken. Stattdessen sah sie ihre Vergangenheit und das verhasste Haus. Das Pierron-Haus lag an der River Road und war seit dem Sommer 1917 eine Institution des südlichen Louisiana. Damals war ihre Großmutter Camellia, die erste der Pierron-Frauen, die ein Bordell betrieben, mit ihrer Tochter und ihren Mädchen hierher gezogen. Erstaunlicherweise hatte es weder Empörung noch Aufruhr darüber gegeben. Auch später nicht, als die Gentlemen regelmäßige Gäste wurden. All die Jahre waren das Haus und die Aktivitäten darin akzeptiert worden wie die Hitze und die Moskitos im August – mit resignativer Bestürzung und zuckersüßer Verachtung.
    Das war zu erwarten gewesen, schließlich befanden sie sich in Louisiana, wo Essen, Trinken und andere sinnliche Genüsse ebenso zum Alltagsleben gehörten wie die Messe und die Beichte. Die Menschen hier akzeptierten ihre Buße mit ebenso viel joie de vivre wie ihre Vergnügungen. Und irgendwie begriffen sie wohl, dass das Pierron-Haus beides repräsentierte.
    Das Gebäude selbst, ein neoklassizistischer Bau mit achtundzwanzig beeindruckenden dorischen Säulen und ausladenden umlaufenden Galerien, war ein architektonisches Meisterwerk. In der Nachmittagssonne strahlte es ironischerweise in jungfräulichem, fast heiligem Weiß. Nach Sonnenuntergang endete die Illusion der Heiligkeit jedoch. Das Haus erwachte zum Leben. Musik erklang, und von den Wänden hallte das Gelächter jener, die gekommen waren, verbotene Früchte zu kosten, und derer, die sie verkauften.
    Jeden Abend ihres Lebens hatte Hope dieses Gelächter hören müssen und gesehen, wie die Mädchen ihrer Mutter mit den Männern die geschwungene, mit sinnlich weichem, blutrotem Teppich belegte Treppe zu den sechs Schlafräumen in der ersten Etage hinaufgegangen waren, die man üppig mit Seide, Brokat und großen weichen Betten ausgestattet hatte.
    Betten, in denen Männer sich wie Könige oder in besonders guten Nächten wie Götter fühlen sollten.
    Zeit ihres Lebens hatte Hope gewusst, was in diesen Zimmern vor sich ging. So wie sie immer gewusst hatte, wer und was sie war – das Hurenkind, der Balg einer Nutte und ihres Freiers, beschmutzt von Sünde.
    Von geheimen Plätzen und durch kleine, versteckte Gucklöcher hatte sie mit einer Mischung aus Faszination und Entsetzen beobachtet, was Männer und Frauen miteinander trieben. Und manchmal, während sich ein Paar auf dem Bett wand, hatte sie sich vor und zurück gewiegt, die Beine fest zusammengepresst, flach und unregelmäßig atmend.
    In solchen Momenten hatte das Böse sie fest im Griff gehabt und nach sündiger Erlösung verlangt.
    Danach hatte sie sich schuldbeladen und beschämt stets bestraft. Dass sie sich selbst berührte, dass sie diese Dinge mit ansah, war falsch. Sündhaft. Sie hatte aus dem Katechismus und in der Messe von ihrer Sünde erfahren. In der Kirche saß sie immer allein, weil sie von anderen Kindern geschnitten wurde, was innerhalb und außerhalb der Kirchenmauern besonders jene Männer förderten, die nachts in ihrem River-Road-Haus lachten und bei Tag den Blick abwandten.
    Als die Treppe zu ihrer Etage knarrte, wandte Hope sich vom Fenster ab und der Tür zu. Einen Augenblick später erschien ihre Mutter.
    Lily Pierron war eine unglaubliche Schönheit, wie es alle Pierron-Frauen gewesen waren. Gesicht und Figur schienen über die Jahre nicht gealtert zu sein, und ihr Haar war noch so samtig blauschwarz wie in Hopes Kindheit. Die anderen Huren redeten hinter ihrem Rücken darüber, Hope hatte sie tuscheln hören. Sie spekulierten, dass Lily einen Pakt mit dem Teufel
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