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Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Titel: Kein Kind ist auch (k)eine Lösung
Autoren: T Wolf
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selbst so ein Händchen für Familienangelegenheiten hatte. Ich durfte regelmäßig am Telefon für ihn lügen, wenn seine Eltern bei uns anriefen. Heldenhaft.
    Ganz zu schweigen von seinem generellen Kommunikationstalent. Er hätte doch mal etwas sagen können, was ihm an mir nicht passte. Ein vorsichtiger Hinweis, das hätte ja vielleicht geholfen. Oder woher sollte ich wissen, dass er gar nicht auf braunrote Locken, Sommersprossen und ein paar Rundungen stand? Stattdessen schwieg er lieber, lud seine Kollegin ein und hatte mit ihr seinen Spaß. Bis ich kam.
    Die Kollegin – mit der er sich »nur so ganz gut versteht. Mehr nicht. Ehrenwort« – hatte, von dem knallroten Gesicht mal abgesehen, stoppelkurze blonde Haare, die fast an einen Jungenhaarschnitt erinnerten, und der Rest: Waschbrett mit Rosinen! Zumindest sah es so aus, als sie unter meiner Bettdecke hervorkam.
    Die beiden waren so überrascht, als ich wegen Migräne viel zu früh vom Dienst kam, dass ich fast das Gefühl hatte, mich für die Störung entschuldigen zu müssen …
    Das Klingeln an meiner Wohnungstür holte mich zurück in die Gegenwart. Das war auch besser so, denn das Wasser war inzwischen kalt. Die Gesichtsmaske hatte ich völlig vergessen und erschrak so sehr, als ich in den Spiegel schaute, dass ich nicht nur aufschrie, sondern mir auch noch den Kopf am Regal stieß, während ich einen Satz nach hinten machte. Die weiße Maske war angetrocknet und hing in kleinen Fetzen von meinem Gesicht. Eingerahmt von meinen Locken sah ich aus wie eine Mumie.
    Ich schlüpfte in den Bademantel, zog die Kapuze über den Kopf und hielt mir ein Handtuch vors Gesicht, so dass man nur noch meine Augen sah. Manchmal war eine Burka durchaus praktisch.
    Hanne stand vor der Tür. Ich hatte ganz vergessen, wie sie aussah – ohne Kind.
    Auf meine SMS von gestern hatte sie bisher nicht geantwortet. Seit ich ihr einmal gesagt hatte, dass ich es schön fände, wenn sie auch mal ohne Klein-Emma vorbeischauen würde, schien sie zu schmollen. Phillip, ihr Freund, hatte seit Monaten keinen Job und war fast immer zu Hause. Da konnte sie doch einfach nach dem Windelnwechseln und Stillen mal auf einen milchbildenden Tee zu Besuch kommen, dachte ich mir. Nur wir beide. So wie früher. Ohne dass sie ununterbrochen mit Klein-Emma auf dem Arm durchs Wohnzimmer oder den Flur gehen musste, damit diese besser einschlafen konnte. Ich fand es einfach schön, wenn man im selben Raum war, während man sich unterhielt. Stattdessen lief sie meistens mit ihrer »süßen Nudel« auf dem Arm durch meine Wohnung. Einschlaf-Spaziergang nannte man das.
    »Rede ruhig weiter, Charly. Ich hör dich. Das ist auch für die Emma ganz beruhigend, wenn sie Stimmen hört«, rief sie vom anderen Ende des Flures, während ich im Wohnzimmer saß und überlegte, ob sie es merken würde, wenn ich ihr erzählte, Amerika hätte Island angegriffen.
    »Für mich ist das aber ganz und gar nicht beruhigend!«, dachte ich so für mich.
    Nun stand sie vor meiner Tür. Ohne Kind und ohne Vorankündigung, anscheinend als Antwort auf meine gestrige SMS. Statt Emma hatte sie ein Babyfon in der einen und ihr Handy in der anderen Hand. Hätte Emma geschrien, hätten wir es mit ganz großer Sicherheit gehört. Schließlich war dieses Haus ein Altbau, in dem Geräusche einfach von Wohnung zu Wohnung wanderten. Und so hatte ich zum Glück zwar nicht an Emmas Zeugung und all den vorausgegangenen Versuchen teilhaben dürfen, aber nun durfte ich sie durch alle Schreiphasen begleiten. Erst Emmas Schreiphasen, dann Hannes’. Wozu also ein Babyfon?
    »Ich dachte erst, du bist gar nicht da, weil ich vorhin, als ich vom Einkauf kam, bei dir kein Licht sah.«
    »Ich habe mir die Pläne für den Banküberfall im Bett unter der Decke angesehen und bin alles noch einmal kurz durchgegangen, damit wirklich nichts schiefgeht. Da mach ich immer das Licht aus und nehme nur eine Taschenlampe, damit mich keiner beobachten kann.«
    Stille.
    »War ein Scherz! Ich habe mich eben mal kurz in der Wanne entspannt.«
    »Soll ich lieber an einem anderen Tag wiederkommen?«
    »Quatsch. Komm rein! Ich freu mich, dass du da bist! Geh schon mal ins Wohnzimmer. Ich wisch mir nur eben den Rest von der Maske aus dem Gesicht.«
    Als ich im Bad fertig war, schaute ich kurz auf die Uhr über dem Regal im Flur. Es war keine Emma-Fütterzeit, keine Schlafenszeit, keine Was-weiß-ich-was-Wickelzeit. Also? Wie spät war es? Es war genau 17:17 Uhr.
    Während
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