Der Weg des Falken (Literatur-Literatur) (German Edition)
Die Sünden der Mutter
I n der Wirrnis von zerbröckelnden, schartigen und verwitterten Hügeln, in der sich die Grenzen des Irans, Pakistans und Afghanistans berühren, befindet sich ein militärischer Stützpunkt mit etwa vierzig Soldaten Besatzung.
Einsam, wie alle solche Außenposten, ist dieser eine besonders furchterregend. Über Kilometer hinweg keine menschliche Behausung und keinerlei Vegetation, abgesehen von ein paar verkümmerten, unfruchtbaren Dattelpalmen, die sich wie irr aneinanderlehnen, und kein Wasser, außer einem Rinnsal zwischen salzverkrusteten Felsen, das zuzeiten, wie aus bösem Willen, ebenfalls austrocknet.
Doch die Natur hat sich damit nicht begnügt. In diesem Landstrich hat sie außerdem den gefürchteten
bad-e-sad-o-bist-roz
erschaffen, den Hundertzwanzig-Tage-Wind. Dieser Wind wütet während der vier Wintermonate und treibt dabei fast ununterbrochen Wolken von Sand und alkalischem Staub vor sich her, die so dicht sind, dass Menschen, die in sie geraten, kaum noch atmen oder die Augen offen halten können.
Es war nur natürlich, dass einige Männer, nachdem sie zu lang einer solchen Öde und Einsamkeit ausgesetzt waren, den Verstand verloren. Daher hatte sich mit der Zeit die Praxis eingebürgert, keinen Soldaten zwei aufeinanderfolgende Jahre auf diesem Posten zu belassen, damit niemand länger als hundertzwanzig Tage lang die verheerende Wirkung des Sturms ertragen musste.
Es herrschte gerade eine dieser kurzen windstillen Perioden, als der Mann und die Frau auf diesen zwischen den Senken der Hügel versteckten Stützpunkt stießen. Der Wind hatte drei Tage lang mit besinnungsloser Heftigkeit gewütet, und hätte seine Gewalt nicht plötzlich nachgelassen, wären die beiden an dem Posten, und damit an der einzigen Wasserquelle weit und breit, ahnungslos vorübergezogen. Tatsächlich hatten sie sich bereits darauf gefasst gemacht, durch die nahende Nacht weiterzuwandern, als der undurchdringliche Vorhang von Staub und Sand sich hob und das Fort mit seinen trostlosen Dattelpalmen offenbarte.
Die Soldaten, die während des Sturms aneinandergedrängt hinter geschlossenen Läden gekauert hatten, waren ins Freie gekommen, sobald der Himmel sich aufgehellt hatte. Matt und entmutigt nach drei Tagen und Nächten in lichtlosen, stickigen und übelriechenden Quartieren, gingen sie jetzt umher, säuberten sich und sogen gierig frische Luft ein. Sie mussten diese kurze Ruhepause ausnutzen, ehe der Wind wieder aufkam.
Ein paar Männer bemerkten die zwei Gestalten und ihr Kamel, als sie den Höhenkamm erreichten und langsam und zögernd auf das Fort zuhielten. Beide wankten, während sie näher kamen. Die – wie die des Mannes ursprünglich schwarze – Kleidung der Frau war grau vor Staub und Sand, und Grate von verkrustetem Schlamm stachen scharf aus den Falten hervor, in die der Schweiß gesickert war. Selbst die liebevoll auf das Kleid der Frau und die Kappe des Mannes aufgenähten Scheibchen von Spiegelglas wirkten glanzlos und blass.
Die Frau war von Kopf bis Fuß in Kleidungsstücke gehüllt, doch während sie näher kam, glitt ihre Kopfbedeckung herunter, sodass die zuschauenden Soldaten ihr Gesicht sahen. Sie unternahm einen halbherzigen Versuch, das Tuch wieder hinaufzuziehen, war aber offensichtlich zu erschöpft, um es wirklich wichtig zu nehmen, und konzentrierte ihre verbleibende Energie darauf, Schritt für Schritt auf die Gruppe von Männern zuzugehen.
Als der Schleier vom Gesicht der Frau glitt, wandten sich die meisten Soldaten ab, doch jene, die das nicht taten, sahen, dass sie kaum mehr als ein Kind war. Auch wenn das Aussehen ihres Begleiters nichts preisgab, so verrieten ihre geröteten, geschwollenen Augen, ihr verfilztes Haar und ihr unirdischer Gesichtsausdruck, was die beiden durchgemacht haben mussten.
Der Mann bedeutete der Frau, stehen zu bleiben, und ging allein weiter auf den
subedar
zu, der das Kommando über das Fort innehatte. Er hielt den Lauf eines alten, rostigen Gewehrs, das ihm über den Rücken hing, krampfhaft umklammert. Er hatte keine Zeit für Formalitäten.
»Wasser«, sagte seine heisere Stimme aus rissigen und blutenden Lippen, »wir haben kein Wasser mehr, gebt uns etwas Wasser.« Der
subedar
deutete wortlos auf einen halbleeren Eimer, aus dem die Soldaten getrunken hatten. Der Mann hob den Eimer auf und ging zurück zur Frau, die jetzt auf dem Boden kauerte.
Er stützte ihren Kopf in seiner Armbeuge, befeuchtete das Ende ihres Schals
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