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Kein Augenblick zu früh (German Edition)

Kein Augenblick zu früh (German Edition)

Titel: Kein Augenblick zu früh (German Edition)
Autoren: Sarah Alderson
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sich verändert hat – das ist nicht mehr die Lila, an die ich mich erinnere. Aber bevor ich mir darüber klar werden kann, was genau sich verändert hat, gerät sie ins Stolpern und stürzt, nein, fliegt förmlich auf mich zu.
    Ich fange sie auf und stelle sie wieder auf die Füße.
    Und so bleibt sie stehen, den Kopf an meine Brust gelehnt. Ihr Haar kitzelt mich am Kinn, ihre Hände sind flach gegen meinen Bauch gepresst. Ein paar Sekunden lang bewegen wir uns nicht. Dann zieht sie sich abrupt zurück. Meine Arme fallen herab. Mit einem inneren Schock wird mir klar, dass ich sie nicht mehr habe loslassen wollen. Ich schiebe den Gedanken weg, bevor er mir noch richtig klar werden kann. Das alles hat nur damit zu tun, dass ich sie vermisst habe und dass sie jetzt endlich wieder da ist. Direkt hier, vor mir. Aber sie wiederzusehen ist ungefähr so, wie die ersten Sonnenstrahlen nach einem langen Winter zu spüren, die Wärme, den Geruch, das neue Leben.
    »Schön, dich wiederzusehen, Lila«, bringe ich endlich hervor. »Kriege ich keine richtige Umarmung?«
    Wir umarmen uns. Ihre Hände liegen leicht, sozusagen probeweise, um meine Hüfte, während ich sie herzhaft an mich ziehe. Ich spüre, wie ihre Anspannung abebbt, wie sie tief einatmet und sich dann enger an mich presst.
    Dieses Mal löse ich die Umarmung.
    Erst jetzt kann ich sie richtig betrachten. Das Mädchen von vor drei Jahren ist verschwunden; vor mir steht ein anderes Mädchen. Das magere, ein bisschen linkische Kind von damals, mit Stirnfransen und Zahnspange, das immer in einem übergroßen T-Shirt herumlief, hat sich in ein Mädchen verwandelt, das gerade den letzten Schritt unternimmt zu … Ich bin nicht sicher, wie ich es ausdrücken soll – zu einer Schönheit? Auf jeden Fall zu einer absolut umwerfenden Frau. Und sofort mahnt mich eine innere Stimme, dass sie für mich beides nicht ist. Sie ist JACKS SCHWESTER . Ich darf sie eigentlich gar nicht mit solchen Augen betrachten. Das ist Lila! Und Lila ist nicht nur Jacks Schwester, sie ist praktisch auch meine eigene Schwester. Und doch … Ich kann sie nicht anders anschauen. Man müsste absolut blind sein, sie nicht für attraktiv zu halten, sogar für schön. Sicher, ich bin der beste Freund ihres Bruders und kenne sie schon seit ihrer Geburt, aber das heißt trotzdem nicht, dass ich kein Mann bin. Und blind bin ich schon gar nicht.
    Ich folge ihr in die Küche. Mir ist klar, dass ich den Blick nicht von ihr lösen kann, dass ich sie anstarre und mich doch zwingen muss, meine Augen an die Decke oder sonst wohin zu richten. Vor allem brauche ich Zeit, um das zu verdauen. Und mir anzutrainieren, dass ich in ihr nichts anderes sehen darf als JACKS SCHWESTER .
    »Lange nicht gesehen«, sage ich, als wir uns in der Küche gegenüberstehen. »Du siehst gut aus.«
    Lila lächelt ein wenig unsicher. Ihre Augen – bestimmt trägt sie Kontaktlinsen? Kann mich nämlich nicht erinnern, dass ihre Augen so grün gewesen sind – weichen meinem Blick aus, huschen über den Boden, während sie sich mit fahriger Hand das Haar hinter ein Ohr streicht und dann den verrutschten Träger ihres Tanktops wieder über die Schulter zurückschiebt. Keine überdimensionalen T-Shirts mehr, stelle ich fest. Ihr Gesicht ist vom Schlaf noch leicht gerötet, aber darunter blass, wie auch die Sommersprossen auf ihrem Nasenrücken. Ihr Haar ist honigfarben, ein wenig dunkler und länger als früher, und es steht ihr gut.
    Ich schiebe ihr einen Stuhl am Küchentisch zurecht und lehne mich an die Arbeitsfläche, um sie besser betrachten zu können. Nur zu gern möchte ich herausfinden, ob ich aus ihrer Körpersprache mehr über sie erfahren kann. Sie ist wachsam. Und sie hat definitiv etwas zu verbergen. Meinem Blick hält sie nicht lange stand und sie legt die Hände immer wieder unbewusst auf die Oberschenkel. Ich muss mich zwingen, ihnen nicht dorthin zu folgen. Aber sie ist nicht mehr so leicht zu durchschauen wie früher. Eher wie Milchglas, denke ich, das von einem Netz feiner Risse durchzogen ist. Es ist eindeutig – da brodelt etwas unter der Oberfläche. Ich kann nur nicht entdecken, was es ist. Noch nicht.
    »Na, erzähl mal«, sage ich. »Warum die plötzliche Flucht nach Südkalifornien? Hat London nicht genug zu bieten für einen Teenager? Oder willst du nur mal kurz schauen, was eine Militärbasis so an Unterhaltung zu bieten hat?«
    Noch während ich das sage, sehe ich sie zusammenzucken. Ihr Blick huscht
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