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Die Letzte Arche

Die Letzte Arche

Titel: Die Letzte Arche
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    AUGUST 2041
     
    Gordo Alonzo und Thandie Jones hatten einen Hubschrauber aufgetrieben, der die Mitglieder der Arche-Drei-Gruppe zur zerklüfteten Küste von Colorado zurückbringen sollte. Alle bis auf Grace Gray, die nirgendwohin gehen würde.
    Grace spürte Gordo Alonzos Hand, die fest um ihren Arm lag. Sie sah zu, wie der Vogel über Cripple Creek herunterkam und dabei ein paar der weniger stabilen Hütten zerlegte, die sich in den engen Straßen drängten. Die Stadt war einst eine Goldgräbersiedlung und dann eine Touristenfalle gewesen. Jetzt, im Zeitalter der Flut, in dem das Meer, das die Vereinigten Staaten überschwemmt hatte, schon gegen die Rockies plätscherte, kampierten Obdachlose auf den Straßen, Parkplätzen und Vorhöfen stillgelegter Tankstellen, und eine Hüttensiedlung aus Zelten und Baracken breitete sich weit über den Kern der alten Stadt hinaus aus. Die Menschen schienen jedoch keine Angst vor dem landenden Hubschrauber zu haben. Sie gingen einfach beiseite und schleiften dabei ihre Decken und Pappkartons hinter sich her.
    Thandie führte die Leute von der Arche Drei an Bord des Choppers: Lily Brooke, Nathan Lammockson und Graces Ehemann, Hammond, Nathans fünfunddreißigjährigen, schwabbeligen beleidigten Sohn, der beleidigt abzog. Doch Grace blieb mit Gordo Alonzo hier, der sie zum Projekt Nimrod bringen würde, auf die Arche Eins, was immer das bedeuten mochte. Hammond schaute sich nicht einmal mehr zu ihr um.

    Gordo redete jedoch pausenlos auf sie ein. »Weißt du, einige Regionen dieses im Wasser versinkenden Planeten sind in die Steinzeit zurückgefallen. Aber hier befinden wir uns in der Nähe von NORAD, dem Nordamerikanischen Luft- und Weltraum-Verteidigungskommando. In einem der wenigen Gebiete auf der Welt, wo Hubschrauber noch alltäglich sind. Deshalb jagen sie den Leuten keinen Schrecken ein. Und glaub mir, wir machen noch weitaus exotischere Sachen, als Chopper zu fliegen. Du wirst schon sehen …« Vielleicht versuchte er auf seine Weise, sie zu beruhigen.
    Gordo James Alonzo war jetzt in den Siebzigern. Der ehemalige Astronaut hatte nicht mehr viele Haare auf dem Kopf, wirkte mit seiner immer noch aufrechten Haltung und den nach wie vor strahlend blauen Augen aber noch genauso fit und einschüchternd wie vor zehn Jahren, als er zusammen mit Thandie Jones an einem Lagerplatz von Walker City aufgetaucht war; Grace war damals erst sechzehn gewesen. Seinerzeit hatte Gordo eine Uniform der U.S. Army getragen, nun trug er das Blau der Air Force, aber das alles bedeutete Grace überhaupt nichts. Er war das Relikt einer Zeit, die sie nicht mehr erlebt hatte, und ihr ebenso fremd wie die reichen Leute auf Nathans schwimmender Arche.
    Grace hatte den größten Teil ihres Lebens mit Walker City auf der Straße verbracht, fünfzehn Jahre, in denen sie wie eine Schnecke oder ein Krebs mit ihrem Haus auf dem Rücken vor sich hin marschiert war. Die Zeit vor ihrem fünften Lebensjahr, in der sie als verhätschelte Gefangene der Familie ihres Vaters in Saudi-Arabien gelebt hatte, war nur noch eine nebelhafte Erinnerung und ebenso irreal wie die letzten Jahre, die sie als Gefangene anderer Art auf Nathans Schiff verbracht hatte. Und nun wurde sie erneut von einem Fremden an andere Fremde weitergereicht.

    Nur das Laufen war real, dachte sie manchmal. Vergangenheit, Zukunft, die ungeheure Katastrophe, die über die Menschheit hereingebrochen war – all das spielte keine Rolle, wenn man in Wirklichkeit nichts anderes tun konnte, als einen Fuß vor den anderen zu setzen, Tag für Tag, Kilometer für Kilometer. Sie konnte auch jetzt einfach weggehen. Weggehen mit nichts als den Kleidern, die sie am Leibe trug, so wie damals bei Walker City. Aber in ihrem Bauch wuchs ein Baby heran – ein Baby, das sie nicht gewollt hatte, von einem »Ehemann«, den sie verabscheute, aber trotz alledem ihr Baby. Sie wollte die Schwangerschaft nicht allein durchstehen müssen.
    »Sie starten«, sagte Gordo.
    Der Wind der Rotoren schlug Grace ins Gesicht. Lily Brooke beugte sich aus dem Chopper und schaute zu Grace hinab. Sie formte so etwas wie »Vergib mir« mit dem Mund. Dann zog Thandie sie in die Maschine zurück, und der Vogel stieg zügig in die Höhe.
    »Alles in Ordnung mit dir?«
    Grace war wütend auf sich selbst, weil sie Schwäche zeigte, wütend auf Lily, weil diese sie manipuliert und im Stich gelassen hatte. »Was glauben Sie wohl?«, blaffte sie.
    Gordo zuckte die Achseln. »Sie haben dich
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