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Erwarte mich in Paris (German Edition)

Erwarte mich in Paris (German Edition)

Titel: Erwarte mich in Paris (German Edition)
Autoren: S.A. Urban
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Ein Job wie jeder andere
     
    Die Sonne brannte an diesem ersten heißen Frühlingstag erbarmungslos auf die Großstadt herab, und schien sie innerhalb einer Nacht nach Italien versetzt zu haben. Die Menschen saßen plaudernd in den Straßencafés oder schlenderten durch die breite Fußgängerzone.  
    Ich schwitzte mittlerweile unerträglich. Doch meine Jacke zog ich nicht aus. Sie war für meinen Job, den ich gleich antreten würde, unerlässlich. Heute war wirklich der ideale Tag, um wieder loszuziehen. Das letzte Mal war ich auf den Weihnachtsmärkten aktiv gewesen. Doch das war jetzt schon Monate her.  
    „Mach’s gut, Nikolito. Gib auf dich Acht.“  
    Meine Großmutter strich mit ihrer trockenen Hand über meine Wange. Ich musste mich zu ihr herunterbeugen, damit sie mir einen Kuss geben konnte.  
    „Mach ich. Du weißt doch, ich bin der Beste.“  
    Sie nickte und ein Lächeln huschte über ihr faltiges Gesicht. Dann zog sie ihr buntes Kopftuch zurecht, drehte sich um und ging zielstrebig auf eine blonde Frau mittleren Alters zu.  
    „Möc-chten Sie, dass ic-ch Ihre Zukunft lese aus der C-Hand?“, hörte ich meine Großmutter auf die Frau einreden. Sie betonte die Wörter dabei auf eine exotische, russische Art, bei der ich jedes Mal schmunzeln musste. Unauffällig beobachtete ich die Frau, die verblüfft stehen geblieben war und meine Großmutter skeptisch musterte.  
    „Mac-chen nur fünf Euro“, sagte Großmutter und griff nach dem Arm der Frau. Sanft drehte sie deren Handfläche nach oben und riss theatralisch die Augen auf. „Ic-ch sehen Schwierigkeiten. Sehen Sie  ch-hier, Ihre Lebenslinie … Diese Unterbrec-chung …“  
    Interessiert sah die Frau auf ihre Handfläche hinab. „Was sehen Sie denn da? Geht es etwa um meine Ehe?“  
    Meine Großmutter strich ihr beruhigend über die Handinnen   seite. „Kommen Sie, kommen Sie, meine Liebe. Ic-ch werde ihnen erzählen …“  
    Lächelnd drehte ich mich weg und ließ meine Großmutter ihre Arbeit tun. Es wurde Zeit, dass auch ich endlich begann. Hoffentlich war ich noch genauso geschickt, wie vor der Pause. Die Wintermonate hatte ich nämlich mit Korbflechten verbracht, und ich bezweifelte, dass dies für die Fertigkeit meiner Hände die richtige Übung war.  
    Langsam bummelte ich an den überladenen Geschäften entlang und tat so, als würde ich die ausgestellten Waren begutachten. Wer kaufte nur all dieses unnütze Zeug? Die Sonnenbrillen, T-Shirts, Tassen und Souvenirs interessierten mich nicht. Meine Aufmerksamkeit wurde von anderen Dingen gefesselt. Meine Augen tasteten die Menschen um mich herum ab. Ein blitzschneller Griff in eine halboffene Handtasche, und unbemerkt ließ ich die fremde Geldbörse in das Innere meiner Jacke gleiten. Ich tat dies ohne Schuldgefühl. In meinen Augen waren die Deutschen eh viel zu reich und ich fand es nur fair, dass sie uns daran teilhaben ließen … wenn, in meinem Fall, auch eher unfreiwillig.  
    Gelassen schlenderte ich die Straße weiter und nahm noch zwei weitere Brieftaschen an mich, die mir achtlos aus Gesäßtaschen entgegenlugten. Ihre Eigentümer würden ihre Abwesenheit erst bemerken, wenn sie etwas bezahlen würden. Und bis dahin war ich über alle Berge.  
    Rasch lief ich weiter. Es war nie gut, zu lange an dem Ort zu bleiben, an dem man schon Erfolge verbucht hatte. Ich ging auf die andere Straßenseite und griff mir wahllos eine Sonnenbrille aus dem Verkaufsständer. Ich setzte sie mir auf und tat, als würde ich mein Aussehen in einem kleinen Spiegel überprüfen. Mir war egal, ob mich die Brille kleidete. Mein Blick suchte schon nach dem nächsten Portemonnaie, das, von seinem Besitzer vernachlässigt, auf mich wartete. Ein helles Lachen ließ mich aufblicken. Ein Mädchen mit einem auffälligen Augenbrauenpircing stand mir gegenüber und beobachtete mich.  
    „Ich an deiner Stelle würde sie nehmen.“  
    „Ähm, die Brille?“, fragte ich verwirrt.  
    „Klar. Sieht cool aus“, zwinkerte sie mir zu.  
    Verlegen nahm ich die Sonnenbrille ab und drehte sie in der Hand. Das Ding hatte verspiegelte Gläser und kostete fünfundvierzig Euro, wie mir ein Blick auf das Preisschild verriet. Fünfundvierzig Euro? Wer war denn wahnsinnig genug, so viel Geld für solch ein unnützes Ding auszugeben?  
    „Du solltest sie kaufen.“  
    „Kaufen?“ Das Wort kam mir wie ein Fremdkörper über die Lippen. Auch das Mädchen schien dies zu merken. Sie grinste und strich sich
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