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Kebabweihnacht

Kebabweihnacht

Titel: Kebabweihnacht
Autoren: Lale Akgün
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sein?«
    |99| Rasch erzählte ihm Ayla von ihrer Entdeckung und von ihrer Idee, dass Umut und seine Freundin mit Mama Weihnachten feiern könnten.
    »Glaubst du, wir beide könnten da hinfahren?«, fragte Arif. »Ich meine, wir können einfach nur fragen, ob sie da sind, ohne groß das Fest zu stören.«
    »Seit wann machst du dir Gedanken, ob du jemanden zu Weihnachten störst?« Die Frage war nicht einmal provokant gestellt, aber sie erzielte trotzdem Wirkung.
    »Außerdem weiß ich nicht einmal, in welcher Wohnung diese Freundin lebt. Ich habe ja nur Umut von weitem die Haustür aufschließen sehen!«
    »Wir fahren trotzdem hin, das ist die letzte Hoffnung, die beiden heute Abend wiederzufinden.«
     
    Arif und Ayla fuhren durch die menschenleere Innenstadt.
    »Wie machen wir das jetzt?«, fragte Arif. »Wo klingeln wir denn, und vor allem, was sagen wir diesen wildfremden Leuten, wenn sich deine Mutter und Umut nicht dort befinden sollten?«
    »Keine Ahnung, darüber denken wir nach, wenn wir da sind!«
    Ayla versuchte cool zu wirken, aber ihr war das Herz genauso schwer. Es hatte sich nicht gelohnt, sich all die Jahre zu verstellen und dem Vater nach dem Mund zu reden. Er war gar nicht der starke Mann, vor dem sie sich hätte fürchten müssen. Das konnte man doch prima an Umut und der Mama |100| sehen. Die beiden waren einfach abgehauen, als es ihnen zu viel geworden war. Na ja, vielleicht waren sie ja gar nicht abgehauen, vielleicht waren sie ja doch bei Umuts Freundin. Wie dem auch sei, sie waren jedenfalls nicht da, obwohl sie doch viel schwächer waren als sie selbst. Subjektiv gesehen. Mama hatte nicht einmal einen Beruf, und Umut war nur ein Auszubildender. Sie selbst war Studentin, sie bekam Bafög vom Staat, sie war es, die sich zuerst gegen die sinnlose Autorität ihres Vaters hätte auflehnen müssen. Aber sie hatte es nicht gewagt, war irgendwie feige gewesen.
    Ayla wusste nicht, ob sie sich über sich selber ärgern oder schämen sollte. Aber eins wusste sie: Ab heute würde sie nichts mehr tun, wovon sie nicht überzeugt war. Jeder Mensch war stark, wenn er sich nur traute, zu sich selber zu stehen. Mama hatte es bewiesen, wahre Stärke hatte nichts mit Geld oder Macht zu tun, sie hatte einfach auf Papas Autorität gepfiffen.
    »Wir sind da«, sagte Ayla zu ihrem Vater, »da vorne, das gelbe Haus ist es!«
    Arif hielt an, und die beiden stiegen aus. Als sie vor der schweren alten Haustür standen, schauten sie sich an.
    »Was machen wir jetzt?«, fragte Arif.
    Ayla sah ihren Vater an. Wie hilflos er wirkte, wenn er selber nachdenken musste und nicht das wiederholte, was der Imam ihm vorsagte.
    »Was jetzt?«, fragte Arif noch einmal. »Wollen wir |101| bei allen schellen und alle Menschen, die in diesem Haus leben, stören?«
    Heute, an Heiligabend, fügte Ayla in Gedanken hinzu, und dann dachte sie: Du lernst dazu, Vater. Laut sagte sie: »Nein, natürlich nicht, wir schauen zuerst mal auf die Klingel.«
    »Sieh mal«, sagte Ayla. »Da, auf der dritten Schelle links, da stehen drei Namen, das scheint eine Wohngemeinschaft zu sein, das sind dann wahrscheinlich junge Leute, und da stören wir am wenigsten, also klingeln wir da zuerst!« Sie drückte auf die Klingel.
     
    Das Klingeln ließ Umut und Hülya zusammenzucken, als ob sie bei etwas Verbotenem erwischt worden wären. Sie schauten sich erschrocken an.
    »Wer kommt jetzt noch?«, fragte Hülya vorsichtig. »Könnte das einer deiner Mitbewohner sein?«
    »Nein, das glaube ich nicht«, antwortete Umut genauso vorsichtig, »warum sollten sie um die Zeit hierherkommen, außerdem haben sie ja Schlüssel!«
    Für einen Moment saßen die beiden ganz still da, aber es klingelte nicht noch einmal.
    »Drück doch auf«, sagte jetzt Hülya. Sie war auf einmal ganz ruhig. Sie war hier, mit ihrem Sohn, und es fühlte sich richtig und gut an, also konnte kommen, wer wollte.
    Umut stand ganz langsam auf. Es war alles nicht mehr so wie vor dem Läuten, ihm war, als wäre mit diesem Klingeln sein schöner Weihnachtstraum zerplatzt. Ganz mechanisch ging er zur Tür und drückte |102| auf den Türöffner, dabei machte er automatisch die Wohnungstür auf. Das tat er immer, obwohl der Vater ihnen permanent auftrug, die Wohnungstür nicht zu öffnen, denn man wisse nie, welche Elemente vor der Tür stünden.
    In der Stille des weitläufigen Treppenhauses hörten Umut und Hülya, wie die Haustür mit einem tiefen Rasseln aufgedrückt wurde. Wer auch immer vor der
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