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Kebabweihnacht

Kebabweihnacht

Titel: Kebabweihnacht
Autoren: Lale Akgün
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Viertelstunde sitzen, aß aus Höflichkeit ein Stück Stollen, und dann ging sie zurück in ihre Wohnung.
    »Wo bleibst du nur?«, schimpfte der Vater. »Und wo sind Mama und Umut?«
    |96| »Du hast mich rübergeschickt«, schimpfte jetzt Ayla zurück, »und ich bin gegangen. Somit musste ich auch ein wenig dort bleiben, oder? Ich hätte ja schlecht sagen können, wir suchen nur meine Mutter und Umut, die sind nämlich Heiligabend verschwunden.«
    »Waren sie nicht bei den Rohowskys?«, fragte Arif ein wenig dämlich.
    »Nein! Oder hast du gedacht, die sind dageblieben und ich bin alleine zurückgekommen?«
    »Aber wo sind sie? Heute, an diesem Abend?«
    »Keine Ahnung, vielleicht bei der Oma?«
    Arif telefonierte alle in Frage kommenden Verwandten durch, vergeblich. Inzwischen war es halb acht, Vater und Tochter war klar, dass irgendetwas nicht stimmte. Das war keine Verspätung, zumal es keinen Grund für eine Verspätung gab.
    Arif spürte, wie die Angst sein Herz langsam umklammerte. Seine Frau und sein Sohn waren verschwunden. Erst dachte er an einen Unfall oder Ähnliches, aber das ergab keinen Sinn. Auf den Straßen war kein Mensch anzutreffen, es fuhren auch keine Autos mehr.
    Die Heiligabendruhe hatte die Stadt erfasst, eine Ruhe, die es so nur in Deutschland und nur an diesem Abend gab. Frieden und Ruhe in der Stadt und eine Chance für die Menschen, sich dem Frieden und der Ruhe zu überlassen.
    Arif war kein Intellektueller, und Denken war nicht seine Stärke, deswegen saß er da und hatte |97| überhaupt keine Idee, wo seine Frau und sein Sohn sein könnten. Aber er wusste, dass er Angst hatte, es war das erste Mal, dass sie weg waren, einfach weg. Konnte es sein, dass sie so einfach verschwanden aus seinem Leben? Er hatte sich einreden lassen, dass es möglich sei, Menschen zu kontrollieren und zu beherrschen. Über sie Macht zu haben. Dass man sogar bestimmen könne, was sie dachten und sagten. In diesen Momenten wusste er, dass diese Macht eine verlogene war, eine eingebildete. Es gab keine Macht über die Herzen und die Gefühle der Menschen, vielleicht sagten sie nichts aus Angst oder Respekt, aber sie waren deswegen lange noch nicht überzeugt.
    Jetzt waren seine Frau und sein Sohn weg, und sie hatten nicht mal eine Nachricht für ihn hinterlassen. Er dachte an seine Wutausbrüche bei Tisch, wenn es um Weihnachten ging. Sie hatten alle still dagesessen, und er hatte gehofft, dass sie seine Meinung früher oder später teilten. Das hatten sie wohl nicht getan, sie hatten nur den Mund gehalten; wahrscheinlich, weil er das Geld herbeischaffte. Er lachte bitter. Aber dann dachte er an den Ausbruch seiner Frau vor einigen Tagen, als es um die Rohowskys ging. Es war also doch nicht nur um das Geld gegangen, das er verdiente. Hatte er an dem Abend eine Grenze überschritten? Er war doch wichtig für seine Familie, als Ernährer, als Familienoberhaupt. Hatte er sich überschätzt, schon die ganze Zeit, aber es nur nicht bemerkt?
    Er war sich sicher, dass die beiden ihn und Ayla verlassen |98| hatten, und dazu hatten sie das Weihnachtsfest ausgesucht, um ihn für seine Beleidigungen zu bestrafen! Arif glaubte, seine Frau und seinen Sohn nie wiederzusehen, und er spürte einen tiefen Schmerz, weil er auf einmal wusste, dass er sie liebte, alle drei.
    Inzwischen war es nach acht Uhr, doch Arifs Hunger war verflogen. »Sie sind weg«, flüsterte er jetzt zu Ayla. »Ich glaube, die beiden sind für immer weg, und wir sehen sie nie wieder.«
    Mitleid erfasste Aylas Herz, als sie ihren Vater so dasitzen sah, als Häuflein Elend. Er war ein Mann, der seine Stärke von seiner Frau und seinen Kindern bezogen hatte, ohne es zu merken. Jetzt, wo sie weg waren, spürte er, wie ihm seine Energie abhandengekommen war. Ein Herrscher ohne Königreich, dachte sie. Doch plötzlich hatte sie eine Eingebung: Die Wohnung in der Altstadt!, schoss es ihr durch den Kopf. Vielleicht hatte sie etwas mit dem Verschwinden von Mama und Umut zu tun? Ayla war der festen Überzeugung, dass dort Umuts Freundin lebte, seine deutsche Freundin! Waren sie dort und hatten sie vielleicht Mama eingeladen, mit ihnen zusammen Weihnachten zu feiern?
    »Ich habe da so eine Idee«, sagte sie leise zu ihrem Vater. »Ich kann natürlich für nichts garantieren, aber ich könnte mir vorstellen, wo sie sind. Wenn sie auch dort nicht sind, dann weiß ich auch nicht weiter …«
    Arif sprang auf. »Wo?«, schrie er. »Wo, meinst du, könnten sie
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