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Kaylin und das Geheimnis des Turms

Kaylin und das Geheimnis des Turms

Titel: Kaylin und das Geheimnis des Turms
Autoren: Michelle Sagara
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war, diese besondere Ausführung war es nicht. Sie war, wie man im Büro so sagte, eine höfliche Geste. Was er hinzufügte, verstieß gegen die Gesinnung der Sache, aber er hatte den leontinischen Sinn für Höflichkeit; es war ja nicht so, als hätte jemand dabei geblutet.
    Und wenn den Falken nicht gefiel, was er anfügte, konnten sie ja heulen kommen. Ein einziges Mal.
    Er blieb an Caitlins Schreibtisch stehen und warf dem Spiegel an der Wand einen gründlich angewiderten Blick zu. Wie alles andere, das Geräusche machte und Nachrichten übermittelte, ging er
nie
dann los, wenn es gerade passte. Er hatte den ganzen Morgen über stur geschwiegen. Wenn es irgendetwas Wichtiges zu berichten gab, hatten die Schwerter und die Wölfe das Glück.
    Er hatte den Papierkram.
    Oh, und Kaylin.
    Sie saß aufrecht in der Mitte seines Stuhls und sah wie in Leder gewickeltes Strandgut aus. Ihre Haare hatte sie so zusammengebunden, wie Caitlin es tat, bloß mit viel weniger Erfolg; sie hatte einen Stab durch den aufgedrehten Knoten geschoben, doch die ersten Strähnen entkamen ihm bereits.
    “Was”, knurrte er, “machst du auf meinem
Stuhl
?”
    Sein Stuhl war riesig – schwerer als die der Menschen und viel breiter als die der Barrani. Sein Lieblingsmöbelstück war er trotzdem nicht, er hatte allein dieses Jahr schon drei Stühle zertrümmert, was an der schlechten Arbeit der Handwerker lag, die die Gesetzeshallen dafür beschäftigte.
So
leicht sollten Armlehnen nicht abreißen.
    Sie schien sich Notizen zu machen.
    Und, wie so oft, wenn sie nicht in ein Klassenzimmer eingesperrt war, war sie dabei so konzentriert, dass sie kaum etwas vom Bürolärm mitbekam. Marcus selbst sorgte für den Rest. Er konnte so leise gehen wie ein Raubtier, das musste er auch können. Und er hatte nur selten die Gelegenheit, diese Fähigkeit zu nutzen.
    Als er genau hinter ihr stand, brüllte er ihr ins Ohr.
    Papiere flogen wie ein aufgebrachter Vogelschwarm durch die Luft.
    Während sie versuchte, einige von den Blättern einzufangen, gab sie Marcus einen vorwurfsvollen Stoß. Da er lächelte, fühlte sie sich sicher. Knapp. Sie war nun einmal immer noch Kaylin; sie hatte nicht den Anstand, verschämt oder ertappt auszusehen. Nicht zum ersten Mal dachte er, sie sei in der falschen Haut geboren worden; sie war wie ein Leontinerjunges – noch dazu ein weibliches –, und kaum etwas brachte sie lange aus der Ruhe.
    Andererseits stand sie jetzt seit sieben Jahren unter seiner Aufsicht, und sie war als Junges zu ihm gekommen. Und wenn er auch nicht im normalen elantranischen Sinne des Wortes ihr Beschützer war, hatte er sehr wohl trotzdem auf sie aufgepasst, und diese Tatsache nutzte sie schamlos zu ihrem Vorteil aus. Ohne es zu merken.
    “Wenn du Papierkram erledigen willst”, sagte er und setzte sich auf das winzige Stück der Schreibtischoberfläche, das nicht mit Papier bedeckt war, “hättest du dich freiwillig melden können.”
    “Würde ich dann um diese blöden Lektionen herumkommen?”
    “Nein.”
    “Extrabezahlung für Überstunden?”
    “Nein.”
    Sie zuckte mit den Schultern. “Na, dann. Ich glaube, so blöd bin ich nicht.”
    Sein Brüllen war zum größten Teil Lachen. Viele Menschen fanden es schwer, den Unterschied zu erkennen – oder hielten es im besten Fall für unklug, weil man Fehler mit einem hohen Preis bezahlte –, aber Kaylin hatte dieses Problem nicht.
    Was gut war, wenn man bedachte, wie viele
andere
Probleme sie hatte. Er streckte eine Hand aus, und sie drückte ihm die Dokumente, die sie genommen hatte, hinein. Sein Blick wanderte von den Blättern zurück zu ihrem Gesicht. “Du interessierst dich auf einmal für Diplomaten?”
    Sie zuckte mit den Schultern. “Musste doch irgendwann so weit kommen.”
    “Dann hast du dich geirrt. Du
bist
eben doch blöd.” Seine dunklen Augen wurden schmaler. “Das scheinen Barrani zu sein”, sagte er. Er erhielt die Befriedigung, sie fluchen zu hören. Auf Aerianisch. Er konnte zwar nicht fließend Aerianisch, aber wie jeder gute Falke kannte er die richtigen Worte.
    “Flugfedern passen nicht”, entgegnete er ruhig. Er sah über ihren Kopf, und in seinen Augen stand wieder das vertraute böse Starren. “Was glotzt ihr so? Habt ihr nicht genug zu tun?”, fuhr er die schamlosen Lauscher an.
    Zu einem gemurmelten Chor, der wie Applaus klang, wenn man für längere Zeit hinter seinem Schreibtisch gefangen gehalten wurde, drehte er sich wieder zu Kaylin um. “Du hast
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