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Kaylin und das Geheimnis des Turms

Kaylin und das Geheimnis des Turms

Titel: Kaylin und das Geheimnis des Turms
Autoren: Michelle Sagara
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die trockenen Stängel des Unkrauts zum Rascheln, als wären es Blätter, und einen Augenblick lang konnte sie fast Waldboden unter ihren Händen spüren. Sie hatten einen Teil von sich selbst in diesen Wald gepflanzt – aber der bessere Teil von ihr? Lag hier begraben, von Severn, während seine Hände Blasen warfen und bluteten. Und es war kalt hier gewesen. Damals war es kalt. Die Erde war viel härter gewesen als die Erde, in der sie gegraben hatte.
    “Nicht einmal, um die Welt zu retten”, flüsterte sie und legte ihre Hände an ihr Gesicht, ihren Mund, um ihre Worte zu dämpfen.
    Dann spürte sie, wie seine Arme sie umschlossen. Spürte seine Brust an ihrem Rücken, sein Kinn über ihrem Kopf. Spürte sein Schweigen wie den Zeitraum zwischen zwei Herzschlägen. “Ich frage mich immer wieder”, fuhr sie fort, weil es ihr gelungen war, den Knoten in ihrer Kehle zu lösen, “ob jemand für mich tun könnte, was ich für den Lord der grünen Auen getan habe. Ob jemand mir die Stärke geben könnte, die ich bräuchte, um das alles zu ertragen.”
    “Elianne.”
    “Und ich weiß, das geht nicht. Weil ich keine Barrani bin. Ich bin nicht der oberste Lord. Falls es wirklich Götter gibt, Severn, bin ich ihnen etwas schuldig. Ich muss niemals der oberste Lord werden.”
    Er hielt sie fest, wie er es seit Jahren nicht getan hatte, und die Jahre verflossen auf diesem wilden, ungewollten Friedhof für zwei. Ihre Augen waren trocken. Sie redete sich ein, dass ihre Augen trocken waren. Lügen? Darin war sie nicht gut. Jedenfalls nicht anderen gegenüber.
    “Es gibt kein Zurück”, presste sie heraus. Es fiel ihr jetzt schwerer, zu sprechen. Aber es war wichtig. Sie flüsterte zwei Namen. Steffi. Jade. Sie horchte nach einer Antwort. Und war erleichtert, keine zu hören, denn der oberste Lord der Barrani würde die Toten
immer
hören. Und verstehen, wie nahe sie daran gekommen waren, sie wirklich zu befreien.
    Und er würde es bereuen. Sie
wusste
, er würde es bereuen.
    Wie konnte sie es nicht wissen? Sie kannte seinen Namen. Sie würde ihn nie aussprechen. War sich nicht sicher, ob sie es überhaupt
konnte
. Aber sie würde es wissen, und er wusste es auch.
    Das war der Preis, den die Liebe von denen mit Macht verlangte. Oder Pflicht. Und Severn hatte ihn bezahlt. Sie konnte aus der Art, wie seine Arme verschränkt waren, ablesen, dass er ihn immer bezahlen würde, dass es nie verlöschen würde.
    Wie hatte er allein damit gelebt? Sie konnte es nicht. Sie könnte ohne Severn nicht hier sein.
    Der dritte Name, den sie flüsterte, war seiner. Sie wusste, dass er sie gehört hatte, weil seine Arme sich fester schlossen, als könnte er sie irgendwie einfangen oder beschützen. Aber sie war letztlich nicht hierhergekommen, um beschützt zu werden.
    Sie war gekommen, um Frieden zu finden.
    Sie lehnte sich in die Höhle seiner Schlüsselbeine zurück, spürte stattdessen die Glieder der Rüstung an ihrem Nacken. “Du kannst mich nicht vor mir selbst beschützen”, sagte sie leise zu ihm.
    Er sagte einen Augenblick nichts; der Augenblick verstrich. “Laut Marcus kann das niemand.” In seinen Worten lag bittere Wärme. “Andererseits sagt Marcus auch, solange er dich noch nicht erwürgt hat, behält er sich das Recht darauf vor.”
    Sie lachte, aber es tat weh. Alles tat weh. Sie drehte sich um, ließ den leeren Beutel fallen. Es war unbeholfen, weil Severn sie nicht losließ.
    “Nicht für dich”, flüsterte er. “Nicht wegen dir. Kannst du dir das merken?”
    Sie nickte. “Ich kann es nur nicht glauben.”
    “Versuch es.”
    Sie schlang ihre Arme um ihn. “Es tut mir leid”, flüsterte sie.
    “Du musst dich für nichts …”
    “Für sieben Jahre”, sagte sie zu ihm. “Du bist sieben Jahre hierhergekommen, ohne mich. Du bist
in jener Nacht
hierhergekommen. Und ohne die Prüfung im Turm hätte ich es nie gesehen. Ich konnte nicht einmal daran denken. So selbstsüchtig war ich.”
    “Du hast sie geliebt.”
    “Ja. Ich habe sie
geliebt
. Aber Severn – du doch auch.”
    “Nicht genug”, flüsterte er.
    Sie wollte ihm widersprechen; sie konnte es nicht. “Was heißt schon genug? Ich lebe noch”, presste sie heraus. Sah ihm in die Augen, auch wenn es ihr schwerfiel. “Ich habe es
gehasst
, am Leben zu sein. Ich …” Und sie schloss ihre Augen. “Ich hasse es, dass … dass ich am Leben sein
will
.”
    Er hielt sie einfach fest.
    “Aber ich hasse dich nicht. Ich kann es nicht. Ich weiß nicht,
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