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Kaylin und das Geheimnis des Turms

Kaylin und das Geheimnis des Turms

Titel: Kaylin und das Geheimnis des Turms
Autoren: Michelle Sagara
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den Hof. Die Festtage und die Rituale, die darauf folgen.”
    “Es dauert länger als einen Tag”, sagte er ernst. Aber er sah nicht vollkommen verstimmt aus. Andererseits, begeistert schien er auch nicht. Er wendete sich an den Lord der Westmarsche. “Sorg dafür, dass es geschieht.”
    Und der Lord der Westmarsche verbeugte sich.
    “Du wirst mit uns essen”, sagte er zu ihr.
    Sie zuckte zusammen.
    “Das ist der einzige Teil des Rituals, dem du beiwohnen musst, und ich würde mich geehrt fühlen.” Er hielt inne. “Du hast das Recht erworben, ‘Lord des Barranihofes’ genannt zu werden, als du aus dem Turm zurückgekehrt bist. Aber du hast die Prüfungen aus Gründen angelegt, die ich nicht verstehen kann, und indem du sie beendest, sie überlebt hast, hast du noch mehr getan. Warum?”
    Sie wollte lügen. Aber sein Blick war stechend und schneidend zugleich, und sie konnte sich nicht in den Schutz des Schweigens zurückziehen, weil es keinen gab.
    “Weil”, sagte sie, “ich meinen eigenen Toten Rechenschaft schulde. Und ich habe sie hier gesehen, in Euch. Ich habe Severn – meinen
Kyuthe
– in Eurem Vater gesehen, mich selbst in Eurem Bruder. Er ehrt Euch über allen anderen, sogar sich selbst.”
    “Was das angeht, ist er sehr dumm.”
    “Ihr …” Sie konnte nicht von “Liebe” sprechen. Nicht mit einem Barrani. Oh, es gab ein barranisches Wort dafür, aber es war eines dieser Worte, die man nur sang oder niederschrieb. Sie hatte es noch nie ohne Sarkasmus gesprochen gehört. Nicht zwischen Barrani. Sie verbargen alle ihre Schwächen. Also konnte sie ihm nicht sagen, dass die Liebe seines Bruders zu ihm in ihren Augen seinen Bruder definierte, sie konnte ihm auch nicht sagen, wie sehr sie wegen dieser Liebe Leben erhalten wollte.
    Stattdessen sagte sie: “Weil nicht jede Schwäche eine Schwäche sein muss. Schwäche, Stärke, Macht, Versagen – das sind nur Worte, und
wir
können bestimmen, was diese Worte bedeuten, wenn wir nur den Willen und den Mut dazu haben.”
    “Du kannst ein Leben neu schreiben?”, fragte er, sein Lächeln voller Ironie. Er betrachtete ihr Zeichen für eine lange Zeit. In seinem Blick lag kein Misstrauen, oder wenn, galt es nicht ihr.
    “Das kann niemand”, antwortete sie sanft. Sie wusste, was er meinte, aber sie war nicht bereit, sich auf seinen Leichtsinn einzulassen. “Aber wir können ihm eine andere Bedeutung geben.” Sie hielt inne, ehe sie aus Frustration weitersprach. “Weil ich
sterblich
bin, und manchmal brauchen wir einander. Wir sind nicht perfekt und nicht immer klug, aber wir sind alles, was wir haben. Manchmal”, fügte sie hinzu und warf einen Blick zu Severn, der ein kleines Stück entfernt stand, “reicht das.”
    Und Lord Andellen kam an der Seite des Lords der Westmarsche an. Er sah misstrauisch aus, aber auf vorsichtige Art. Er kniete vor dem Lord des Barranihofes nieder.
    “Lord Andellen”, sagte der Lord des Barranihofes mit einer ganz anderen Stimme als der, die er vor Kaylin dargelegt – genau das war das Wort – hatte.
    Andellen hob seinen Kopf, und nur seinen Kopf. Er stand nicht auf.
    “Ihr seid eingeladen, solltet Ihr Euch entschließen, anzunehmen, die Gastfreundschaft des Barranihofes zu genießen. Und während Kaylin Neya ihre Jahre ablebt, und in ihrem Namen, werdet Ihr immer in den Hohen Hallen willkommen sein.”
    In Andellens Augen stand Gold. Einfach nur … Gold.
    Das war so viel mehr, als sie sich hatte erbitten können. Und er fragte Andellen auch nicht nach seiner Zugehörigkeit zu Lord Nightshade. Er verlangte nicht von ihm, die Eide zu widerrufen, die ihn an den Koloniallord banden. Er hätte beides gekonnt. Sie wusste, sein Vater hätte es getan. Aber dieser oberste Lord war ein anderer Mann.
    Sie hätte den Lord des Barranihofes umarmt, wäre er jemand anders gewesen, selbst der Falkenlord. Stattdessen wendete sie sich ab und wischte sich schnell mit den Handflächen über die Augen.
    Sie waren hell und leuchtend, als sie sich zurückdrehte.
    Und ihr Magen knurrte.
    Eine sehr unangenehme Stille unterstrich das bedauerliche Geräusch noch, und dann lachte der Lord des Barranihofes. Auch der Lord der Westmarsche, und selbst das Lächeln der Lordgemahlin sprach von Freude und Nachsicht.
    Severn andererseits kicherte, und
ihn
durfte sie schlagen. Also tat sie es.
    Am Morgen – und es war Morgen, auch wenn es nicht gerade genug Nacht gegeben hatte, damit Kaylin ihn mehr zu schätzen wusste als normalerweise –
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