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Kaylin und das Geheimnis des Turms

Kaylin und das Geheimnis des Turms

Titel: Kaylin und das Geheimnis des Turms
Autoren: Michelle Sagara
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wie.”
    “Du kannst dich daran erinnern”, flüsterte er in ihre zerzausten Haare. “Wenn du es musst, kannst du dich daran erinnern.”
    Sie löste sich von ihm und hielt ihn eine Armeslänge entfernt, obwohl ihre Arme zitterten. “Ich hätte Vergessen gewählt”, sagte sie bitter, weil es die Wahrheit war. “Und ich hätte es gerne vergessen.” Sie schluckte hart. “Und du hattest recht – das wäre falsch gewesen. Ich will nach vorne blicken”, fuhr sie leiser fort. “Aber ich weiß nicht, wie. Ich weiß einfach nicht, wie ich zurückgehen soll.”
    “Sie haben dir nicht die Schuld gegeben.”
    “Das ist egal. Ich tue es jetzt. Ich habe für den obersten Lord der Barrani getan, was ich für mich selbst nicht tun konnte. Ich habe für den Lord der Westmarsche getan, was ich nie auch nur in Betracht gezogen habe, für dich zu tun. Warum hast du mir nichts gesagt?”
    “Kaylin, Elianne, wer du auch bist.”
    Doch sie kannte die Antwort jetzt. Sie löste sich von ihm, und dieses Mal ließ er sie gehen, zu dem Stein und der Puppe und der Flöte, zur Stille der Toten. Und es
war
still dort und eine gesegnete Stille, und sie erkannte es als das, weil sie Samarans Vater in der Dunkelheit der Hohen Hallen gesehen, sein Flehen gehört, gehört hatte, welche Last er seinem Sohn auferlegt hatte.
    “Wir haben gewonnen, oder nicht?”, fragte sie ihn, beide Hände auf der harten Oberfläche des gesichtslosen Steines, der das ideale Zeichen für das schien, was darunterlag.
    “Elianne …”
    “So heiße ich nicht.”
    “Dann eben Kaylin.”
    Sie schüttelte sacht den Kopf, drehte sich um und sah ihn durch ihre Tränen an. “Komm nicht wieder hierher”, sagte sie leise.
    “Das kann ich nicht versprechen.”
    “Komm nicht ohne mich.”
    Er nickte, und er legte seine Hände an ihre Wangen und hielt ihr Gesicht. Seine Augen waren braun, einfach nur braun. Sein Gesicht war weiß genug, dass seine Narben fast unsichtbar wurden.
    Und als sie von seinen Augen genug hatte und der Himmel ein wenig zu rosa war, flüsterte sie endlich einen anderen Namen. Ihre Lippen bewegten sich um die Silben, gaben aber überhaupt kein Geräusch von sich. Sie fasste nach seinen Händen und presste sie gegen ihre Haut, bis sie jeden Knöchel spüren konnte.
    Spürte, am Weiten seiner Augen, dass er sie deutlich gehört hatte, dass in einem Teil seiner Gedanken und seiner Erinnerung der Name, den sie für sich selbst gewählt hatte – dieser dritte Name, mit den scharfen Kanten und der Weichheit –, verankert war.
    Doch als sie ihn entblößte, spürte sie überhaupt keine Angst und auch keine, als er, ohne die Lippen zu bewegen, die Silben sprach, die sie definieren sollten.
    Ellariayn.
    Severn.
    Das ist … dein Name.
    Ja.
    Aber du …
    Hier kannst du mich nicht belügen. Und ich glaube, ich kann auch dich nicht belügen. Frag mich. Frag mich alles, was du wissen musst.
    Er schwieg.
    Ruf mich
, flüsterte sie,
und ich werde dich hören. Wo ich auch bin, ich werde dich hören. Was ich auch tue, ich werde dich hören. Ich werde antworten.
    Aber er war immer noch Severn, und auch wenn sie sich verändert hatte, er hatte es nicht. Er fragte sie nichts. Stattdessen nahm er sie in seine Arme, und dieses Mal kam sie ihm entgegen, und der Einbruch der Nacht – die wirklich bald hereinbrechen würde – konnte sie nicht von diesem Ort vertreiben, von diesem Felsen, diesem Grab oder diesen Gaben.
    Das alles gehörte ihr. Für diesen Augenblick gehörte es ihr.
    Und vielleicht hatte er sich doch verändert, denn als die Nacht sich über die Straßen der Kolonie legte, warnte er sie nicht, er wies sie nicht an, sich zu bewegen, er sprach nicht von praktischen Dingen und dem wartenden Tod.
    Er sprach stattdessen ihren Namen. Alle ihre Namen.
    Und als seine Lippen sich nicht mehr bewegten, hob sie ihre Hand und berührte sie mit den Fingerspitzen, und ihre heilenden Hände bewegten sich wie Motten nahe dem Herzen der Flamme.
    – ENDE –
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