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Kastell der Wölfe

Kastell der Wölfe

Titel: Kastell der Wölfe
Autoren: Jason Dark
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ein Talent. Er malte zwar keine Menschen, aber die hoch stehenden Klötze wiesen auf ein Gebäude hin. Zuerst dachten die Zuschauer, dass es nur Klötze waren, dann aber veränderte der Junge den oberen Rand. Er malte ihn breiter, und schließlich waren aus den Klötzen Türme geworden.
    Drei brachte er zu Papier, sogar die Perspektive stimmte, denn der dritte Turm stand weiter nach hinten gerückt.
    »Wie eine Burg«, flüsterte der Tierarzt.
    »Das denke ich auch.«
    »Und was machen wir jetzt?«
    »Warten, bis er fertig ist.«
    Donald May hob die Schulter. Er ärgerte sich über seine Frage und schaute dem Maler wieder zu. Seine Hauptzeichnung war fertig. Er kümmerte sich jetzt um den Hintergrund, deutete einige flache Hügel an und malte auch einen Himmel, an dem die Wolken aussahen wie fliegende Ungeheuer, die sich zum Schlafen niedergelegt hatten.
    »Das ist verrückt«, flüsterte Donald May. »Das glaubt uns keiner. Das kann uns niemand glauben.«
    Der Junge warf den Kugelschreiber von sich. Danach schlug er auf das Blatt wie jemand, der auf etwas hinweisen will. Er sprang vom Stuhl und blieb auf dem Boden hocken, den Kopf in den Nacken gelegt, um die Männer anschauen zu können.
    Dr. Wilson nahm das Blatt an sich. Er schaute sich das Motiv genau an und nickte.
    »Das ist ein Hinweis, Tony.«
    »Ja, das denke ich auch. Nur worauf?«
    Donald verzog die Lippen. »Auf eine Burg.«
    »Und warum hat er sie gemalt?«
    »Kann sein, dass er von dort gekommen ist. Mal eine andere Frage. Kennst du diese Burg? Oder Ruine? Sie muss sich doch hier in der Nähe befinden, und ich weiß von nichts.«
    »Nein, mir sagt das auch nichts«, gab Wilson zu. »Aber wenn es hart auf hart kommt, müsste sie doch zu finden sein.«
    »Denke ich auch.«
    Ein leises Jaulen ließ sie verstummen. Es war kein Tier, das sich gemeldet hatte, sondern der Junge. Er wollte auf sich aufmerksam machen. Er bewegte sich hin und her, wie jemand, der einfach keine Ruhe finden kann. Er bewegte sich mal dicht über den Boden, einen Moment später hüpfte er hin und her.
    »Was soll das?«, flüsterte Donald May.
    »Ich habe das Gefühl, dass er Angst hat.«
    »Etwa vor uns?«
    »Nein, das glaube ich nicht«, wehrte der Tierarzt ab. »In dem Fall hätte er sich nicht so ruhig hingesetzt und gemalt. Es muss einfach etwas anderes sein, das ihm Sorgen bereitet.«
    »Vielleicht will er einfach raus.«
    »Kann auch sein.«
    »Sollen wir?«
    Der Arzt gab keine Antwort. Für ihn war das Verhalten des jungen ein großes Rätsel. Er war da überfragt. Das Kind musste in eine Spezialklinik gebracht werden. Dort würde man es ordentlich untersuchen können.
    Doch das Schicksal hatte etwas anderes bestimmt.
    Die Veränderung begann mit einer scharfen Drehung des Jungen. Plötzlich war nicht mehr die Tür interessant, sondern die beiden Fenster.
    Er starrte hin, und zwar so überdeutlich und intensiv, dass auch die beiden Männer ihre Köpfe wandten. Aber sie konnten so lange hinsehen, wie sie wollten – sie entdeckten nichts, was sich verändert hatte.
    Trotzdem blieb die Unruhe des Jungen.
    Der Arzt fasste einen Entschluss. »Ich schaue mal nach.«
    »Gut, aber sei vorsichtig.«
    »Klar.« Dr. Wilson befand sich bereits auf dem Weg. Er drehte noch kurz den Kopf, und genau in diesem Moment, als er in eine andere Richtung schaute, passierte es.
    Die beiden Scheiben barsten gleichzeitig. Die Jalousien flogen den Männern entgegen, was noch Glück war, denn sie hielten die Splitter ab. Doch zugleich begann der Albtraum.
    Durch die zerstörten Fenster hechteten Wölfe in den Raum...
    ***
    Esther May war fünfunddreißig Jahre alt und mit ihrem Leben bisher sehr zufrieden gewesen. Ihre Ehe lief gut. Ihr Mann verdiente als angesehener Physiker auch genügend Geld, und auf Archie, ihren gemeinsamen Sohn, waren beide stolz.
    Was allerdings in dieser Nacht passiert war, das passte nicht in ihr gerades Familienleben. Sie selbst hatte es nicht miterlebt und kannte es nur aus dem Bericht ihres Mannes, der allerdings nicht sehr viel gesagt hatte.
    Da verließ sie sich lieber auf ihren Sohn, in dessen Zimmer sie saß. Sie hatte ihm Saft mitgebracht, den er gerade trank. Seine Mutter schaute er dabei über den Rand des Glases hinweg an.
    Er sah eine Frau im Jogging-Anzug, die sich ein Handtuch um die Haare gewickelt hatte. Vom Duschen noch nasse braunschwarze Strähnen lugten darunter hervor.
    Archie setzte das Glas ab und leckte sich über die Lippen. »Das war lecker,
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