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Eiskalt Entflammt

Eiskalt Entflammt

Titel: Eiskalt Entflammt
Autoren: Lisa Gibbs
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    Schwarzer, dicker Schlick kroch durch ihre Lungen. Sie rang nach Luft, der lebenswichtigen Essenz. Fingernägel bohrten sich in ihre Haut und hinterließen schmerzende Halbmonde. Es brannte. Seine Hand schnürte ihr die Kehle zu. Ein letzter Kraftschub, ein letzter unterdrückter Schrei. Es war ein Kampf, den sie nicht gewinnen konnte.
    Dann Resignation und Stille. Angst. Pure, kalte Angst. Begreifen. Keine rettende Luft drang mehr in ihre Lungen, sie zogen sich zusammen, die Augen schmerzten. Loslassen. Dem verlorenen Atem folgte der kalte Blick des Todes, zurück blieb einzig eine leblose Hülle. Das grauenvolle Zeugnis ihrer verlorenen Seele. Schwarze Nacht schlich sich in ihren Geist, langsam und zäh.
    Lou schnappte nach Luft und zwang sich, den Gegenstand in ihren Händen loszulassen, um dem Leben die Macht über ihren Körper zurückzugeben. Sie blinzelte, in der Hoffnung, die fremden Bilder, die sich in ihre Netzhaut eingebrannt hatten, loszuwerden. Je mehr Sauerstoff ihre Lungen füllte, desto bewusster nahm sie ihre Umgebung wieder wahr. Sie zählte ihren Pulsschlag. Es beruhigte sie und gab ihr die Gewissheit, am Leben zu sein. Sie war zu lange in der anderen Welt geblieben, und nun zahlte sie dafür mit ihrem schmerzenden Körper. Als ihre Knie nicht mehr nachzugeben drohten, wischte sie sich den Schweiß von der Stirn und zog die Handschuhe wieder über die Hände.
    Erneut hob sie den Gegenstand vom Boden auf und betrachtete ihn. Ein kleiner rosa Sportschuh, keine bekannte Marke. Mehr als das und eine Haarspange mit einem bunten Schmetterling gab es nicht mehr von der kleinen Anna. Deren Körper lag in der Gerichtsmedizin, und bisher konnten die Pathologen nur sagen, dass sie einem gewaltsamen Tod zum Opfer gefallen war. Gefunden hatte man den leblosen Körper vor zwei Tagen am Hafen, nicht weit entfernt von dem schäbigen Appartement, in dem Anna mit ihrer Familie gelebt hatte. Der Täter war in Hektik verfallen und hatte nicht aus Mordlust getötet, das wusste Lou bereits. Sonst hätte er Anna nicht so impulsiv und vor allem nicht an diesem öffentlichen Ort umgebracht.
    Mit viel Liebe hatte Anna verschiedenfarbige Schnürsenkel eingefädelt, um den Schuh ein wenig individueller zu gestalten. Noch einmal musste Lou einen Blick in die Vergangenheit riskieren, sie brauchte mehr Informationen. Sie zog einen Handschuh aus und fuhr langsam mit ihren Fingern über die Schnürsenkel. Langsam öffnete sie die schützenden Barrieren ihres Geistes und ließ die Bilder hineinfließen. Erneut nahm ihr Bewusstsein die kalte Angst in Empfang. Die zähe, schwarze Masse breitete sich wieder um sie herum aus. Erst musste sie gegen ihre eigene Angst kämpfen und geistig über ihre Grenzen gehen, bevor sie Zutritt zu den vergangenen Ereignissen bekam. Doch dann war sie dort.
    Anna lief, rannte so schnell sie konnte, bis sie stolperte und hinfiel. Einen Schuh hatte sie bereits verloren, sie trug nur noch den linken. Durch den Sturz hatten sich kleine Splitter in ihre Hände gerammt, doch sie schenkte dem Schmerz keine Beachtung. Sie wischte sich mit den blutigen Händen übers Gesicht und rappelte sich wieder auf. Getrieben von einer Hast, die ihre letzte Hoffnung war.
    Diesmal war Lou gewappnet und konzentrierte sich auf die Bilder und nicht auf Annas Schmerz und ihre unbändige Angst. Jemand warf sich von hinten auf das kleine Mädchen und hielt sie mit seinem Körpergewicht am Boden. Ein Mann mittleren Alters, er stank nach Alkohol. Das Schlimmste war, Anna kannte ihn. Ihre Empfindungen schwankten zwischen Todesangst und Trauer. Ein Gemisch, das die Verzweiflung nährte. Er schluchzte hektisch, während seine drahtigen Arme ihren Körper auf den Boden pressten.
    „Anna, ich habe es nicht so gemeint. Wir erzählen niemandem davon, ja?“
    Lou wurde übel. O nein, bitte nicht. Schon vorher mussten schreckliche Dinge passiert sein.
    „David, lass mich …“
    Anna gab ihr die Antwort, die sie brauchte. Jetzt musste Lou so schnell wie möglich zurück. Die Gewalt, die gleich folgen würde, hätte sonst schwere Auswirkungen auf sie selbst, das wusste sie nur zu gut. Schon ihr erster Kontakt war eine Warnung gewesen. Sie ließ den kleinen Schuh fallen und tastete wieder nach ihrem Puls. Zählen, die volle Konzentration auf ihren Herzschlag, den Taktgeber, der ihr Leben real werden ließ, bis Annas Schluchzen nur noch ein verhallendes Echo war.
    Vor dem Regal sackte sie auf die Knie und lehnte sich mit dem
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