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Kantaki 02 - Der Metamorph

Kantaki 02 - Der Metamorph

Titel: Kantaki 02 - Der Metamorph
Autoren: Andreas Brandhorst
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doch.«
    Eklund drehte den Kopf. Ein Mann in mittleren Jahren stand einige Meter entfernt, gekleidet in ein ockerfarbenes, kuttenartiges Gewand. Ein Jugendlicher begleitete ihn, schlaksig, drei oder vier Jahre älter als er, im Gesicht ein Lächeln, das dort ebenso selbstverständlich wirkte wie die Sonne am Tageshimmel von Kerberos.
    »Ich bin Bruder Darius, und das ist mein Novize Terod«, sagte der Mann und kam näher. Seine Stimme war weich, sanft und geduldig. »Du hast den Jungen geheilt. Mit der Kraft.«
    »Ich verstehe nicht…«, erwiderte Eklund, aber das stimmte nicht ganz. Er begann zu verstehen, hörte das Rauschen der nahen Wellen und hatte für ein oder zwei Sekunden das Gefühl, in einem riesigen Ozean zu schwimmen.
    Die anderen Jungen standen in der Nähe, unter ihnen jener, der sich den Ellenbogen aufgeschlagen hatte. Sie hörten aufmerksam zu, und Eklund spürte deutlich, dass sie zum Publikum geworden waren, während Bruder Darius und er auf der Bühne des Geschehens standen.
    »Hast du schon einmal von der Aufgeklärten Gemeinschaft gehört?«, fragte Bruder Darius.
    Eklund sah zum Pelion-Massiv im Süden und Osten von Chiron, zu den steilen, tausend Meter hohen Felswänden. Dort gab es ein Höhlensystem, »Zitadelle« genannt, in dem die Mitglieder der Aufgeklärten Gemeinschaft wohnten.
    »Ihr seid Heiler«, sagte Eklund.
    »Ja. Wir heilen mit der Kraft, die du berührt hast.« Er breitete die Arme aus. »Auf diesem Planeten gibt es mehr, als wir mit unseren normalen Sinnen wahrnehmen. Hier existiert eine… Welt über der Welt, eine besondere Sphäre, anders beschaffen für jeden von uns, erfüllt mit einer Kraft, die wir nutzen können, um zu heilen, um Leid zu lindern. Du bist offenbar imstande, diese Kraft zu nutzen. Ich sollte mit deinen Eltern reden.«
    Und ganz plötzlich stand Eklund vor der Weggabelung: Auf der einen Seite ging es zurück zu der Welt, die ihn mit kalter Sachlichkeit schreckte; der andere Pfad führte in ein ganz neues Leben, ebenso verstörend wie verlockend.
    »Ich bin… allein.« Damit war die Entscheidung getroffen, endgültig.
    Bruder Darius wölbte die Brauen und richtete einen Blick auf ihn, der mehr zu sehen schien, als Eklund lieb war.
    »Es gibt niemanden, der sich um dich kümmert?«
    »Nein, ich bin ganz allein«, wiederholte er, und eine Last wich von ihm – er wusste, dass er die richtige Wahl getroffen hatte.
    »Was hältst du davon, dich uns anzuschließen?« Terod kam näher und sah wie das aus, was Eklund bisher nie gewesen war: sorglos, zufrieden, in Einklang mit sich und seiner Welt. »Ein Bruder der Aufgeklärten Gemeinschaft kann doch zwei Novizen haben, oder?«
    »Ich denke schon«, erwiderte Bruder Darius. Er musterte Eklund erneut mit einem sondierenden, nachdenklichen Blick. »Wenn du allein bist… Ich könnte dich zum Heiler ausbilden.«
    »Vielleicht können wir zusammen die Welt über der Welt erkunden«, fügte Terod hinzu.
    Bruder Darius streckte die Hand aus.
    Eklund zögerte nicht, ergriff sie sofort.
    Die Frage, ob seine Adoptiveltern nach ihm gesucht hatten, blieb für immer unbeantwortet – er sah Miliana und Primor nie wieder.
     
     
Kerberos · 17 April 342 SN
     
    In zweihundert Meter Höhe an der steilen Wand des Pelion-Massivs saß der fünfzehnjährige Eklund auf einem Felssims und blickte im warmen Sonnenschein über die Stadt. Chiron wuchs weiter, dehnte sich im breiten Delta des Acheron aus, ein urbanes Geschöpf, das immer mehr Platz beanspruchte.
    Inzwischen fühlte sich Eklund nicht nur als Teil der Aufgeklärten Gemeinschaft in der Zitadelle, sondern auch als Teil dieser Welt namens Kerberos. Die Entscheidung, nicht mit seinen Adoptiveltern nach Maximilius zurückzukehren, hatte er nie bereut. Das Empfinden, hier zu Hause zu sein, war in den vergangenen zwei Jahren immer stärker geworden, doch dahinter, jenseits der besonderen Wärme des Willkommens, gab es noch etwas anderes. Dieser Eindruck hatte sich im Lauf der letzten Monate verdichtet, seitdem er unter der Anleitung von Bruder Darius ganz bewusst heilte und die Befriedigung erlebte, anderen Menschen helfen zu können. Manchmal glaubte er, etwas zu hören, wie einen Ruf aus der Ferne, doch wenn er sich darauf zu konzentrieren versuchte, verklang die Stimme.
    Auf die Hände gestützt lehnte sich Eklund zurück und hob das Gesicht der Sonne entgegen, deren Licht sich veränderte, zu einem goldenen Glanz wurde, der nicht blendete…
    Etwas verschob die Realität,
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