Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kantaki 02 - Der Metamorph

Kantaki 02 - Der Metamorph

Titel: Kantaki 02 - Der Metamorph
Autoren: Andreas Brandhorst
Vom Netzwerk:
auch Sauberkeit und Eleganz, in den zentralen Geschäftsvierteln und geschützten Wohnbereichen der Magnaten, Souveränen und Autarken – diese Schönheit blieb ebenfalls vom Schleier der Nacht verhüllt. Lorgard wusste aus unmittelbarer Erfahrung, wie nahe sich Schönes und Hässliches sein konnten; manchmal hatte er sogar den Eindruck gewonnen, dass das eine nicht ohne das andere existierte. Der Autokrat, nominelles Oberhaupt von Kerberos, bot ein gutes Beispiel dafür.
    Der narzisstische Narr war dumm genug, sich für ein künstlerisches Genie zu halten, und er liebte es, sich mit schönen Dingen zu umgeben, ohne zu ahnen, dass er sie schon beschmutzte, wenn er nur den Blick auf sie richtete.
    Wieder wechselte das Bild und zeigte die aktuellen Aufnahmen eines anderen Überwachungssensors. Hell leuchtende Lampen drängten die Nacht auf der künstlichen Insel des Raumhafens am westlichen Rand des Deltas zurück. Hinter den Gebäuden des Terminals sah Lorgard nicht nur mehrere interplanetare Raumschiffe, unter ihnen einige NHD-Shuttles, sondern auch zwei Kantaki-Schiffe – schwarze, asymmetrische Kolosse, die den Eindruck erweckten, aus hunderten von kaum zueinander passenden Einzelteilen zusammengesetzt zu sein – und einen zwiebelförmigen Springer der Horgh.
    Ein neuerlicher Bildwechsel. Die Berge des Pelion-Massivs im Osten und Süden der Stadt erschienen, fast ebenso dunkel wie der Kontinentalwald oder die riesigen Raumschiffe der Kantaki. Bis auf eine Stelle. In halber Höhe glühte es hier und dort, und Lorgard wusste, dass jene Lichter von chemischen Lampen stammten, die an den Zugängen der so genannten Zitadelle glühten. Dort lebten die Angehörigen der Aufgeklärten Gemeinschaft: Menschen aller Glaubensrichtungen, die auf eine besondere Kraft zugreifen konnten, die offenbar nur auf Kerberos existierte, eine Kraft, die sie befähigte, andere Personen zu heilen. Lorgard fragte sich kurz, wie es sein mochte, ein solches Leben zu führen, kein neues Leben zu entwerfen wie er, sondern das Leid bestehenden Lebens zu lindern.
    Er streckte die Hand aus, und ein Tastendruck beendete die Bildfolge auf dem Display. Doch er deaktivierte die Darstellung nicht, blickte ins wartende Grau und versuchte, sich einen inneren Ruck zu geben, Kraft für all die Maßnahmen zu finden, die jetzt nötig waren. Lorgard ahnte, dass sich eine neuerliche Veränderung in seinem Leben anbahnte, vielleicht mit ähnlich weit reichenden Folgen wie seine Beförderung zum planetaren NHD-Direktor. Der Metamorph war sein bestes Werk, ein in jeder Hinsicht perfektes Geschöpf, perfekt geplant, perfekt konstruiert, das Meisterwerk des Künstlers in ihm. Und gerade seine Perfektion machte ihn jetzt zu einer Gefahr.
    Rubens Lorgard stand auf und begann mit einer unruhigen Wanderung durch das Büro. Dem Fenster, das direkten Ausblick in die Nacht gewährte, schenkte er keine Beachtung. Nachdenklich ging er immer wieder um den Schreibtisch herum, sah dabei ins Leere. In dieser Nacht hatte er viele seiner »Kinder« verloren, und ihr Verlust schmerzte. Der Prototyp des Metamorphs war nicht zugrunde gegangen, und diese Erkenntnis brachte dem paternal empfindenden Teil seines Selbst Erleichterung. Aber er war auch eine Waffe, erinnerte sich Lorgard – das durfte er nicht vergessen, nicht für eine einzige Sekunde. Ein strategisches Konzept lag seinem Design zugrunde, auch wenn Lorgard immer nur den anderen Nutzen in ihm gesehen hatte: die Entwicklung von organischen Servi, die sich jederzeit neuen Aufgaben und Einsatzgebieten anpassen konnten, noch dazu mit einer ausgesprochen hohen autoregenerativen Kapazität. Man musste nur eine Möglichkeit finden, die verwendete Basismasse durch stabile Zellen zu ersetzen – darin lag das einzige Problem. Und zweifellos würde sich früher oder später eine Lösung dafür finden lassen; davon war Lorgard überzeugt.
    Eine Waffe, erinnerte sich Lorgard erneut. Und diese lebende Waffe war in den Fluss geraten – davon mussten sie nach dem Stand der Dinge ausgehen. Im Acheron wimmelte es von einheimischem Leben, und damit standen dem Metamorph genug Nährstoffe zur Verfügung.
    »Er wird wachsen«, sagte Lorgard leise. »Und er wird sich so entwickeln, wie es die Programmierung der Formationsmatrix vorsieht.« Er dachte an die Einzelheiten des strategischen Konzepts, die zum Grundprogramm gehörten. Ein Geschöpf wie der Metamorph war nicht wie ein Datenservo, in dem man ganz nach Belieben neue Programme
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher