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Kantaki 02 - Der Metamorph

Kantaki 02 - Der Metamorph

Titel: Kantaki 02 - Der Metamorph
Autoren: Andreas Brandhorst
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Siegelbruch hinwiesen. »Ich schätze, davon müssen wir ausgehen.« Er zog das Datenmodul aus dem Lesegerät und stand auf. »Vielleicht ergeben sich bei den weiteren Untersuchungen neue Hinweise. Ich halte Sie auf dem Laufenden.« Emmerson ging zur Tür des Büros, und dort zögerte er noch einmal. »Alles deutet darauf hin, dass der Prototyp des Metamorphs lebt und sich irgendwo dort draußen befindet, Direktor. Ich halte höchsten Kontaminationsalarm für angemessen.«
    Rubens Lorgard nickte und starrte auf den leeren Bildschirm. »Ja, ja«, sagte er leise. »Einverstanden. Kümmern Sie sich darum.«
    »Und noch etwas, Direktor…«
    Lorgard drehte den Kopf und sah den Sicherheitschef an.
    »Wenn Sie gestatten: Sie sollten in Erwägung ziehen, den NHD-Globaldirektor zu informieren. Wenn das Projekt Doppel-M außer Kontrolle geraten ist – und darauf deutet alles hin –, möchte er bestimmt darüber Bescheid wissen.«
    Lorgard nickte erneut, noch nachdenklicher als vorher.
    Ohne ein weiteres Wort öffnete Emmerson die Tür, schloss sie hinter sich und ließ Lorgard allein im Aufsichtsbüro zurück.
     
    Der Direktor nahm am Schreibtisch Platz. Seit mehr als dreißig Jahren arbeitete er für die Niederlassungen von New Human Design auf Kerberos, zuerst als einfacher Kreator, voller Enthusiasmus, dann als Entwickler und Designer, wobei er imstande gewesen war, seine ganze Kreativität zu entfalten. Schon seit einer ganzen Weile bedauerte er, sich auf die Beförderung zum planetaren Direktor eingelassen zu haben. Er hatte sich geschmeichelt gefühlt, erinnerte er sich, belohnt nach langen Jahrzehnten der Mühen und des Engagements. Aber als Leiter der NHD-Niederlassungen auf Kerberos musste er zu viel Zeit in administrative Angelegenheiten investieren und fand immer weniger Gelegenheit, neue biologische Strukturen zu entwerfen, neues Leben zu kreieren, das vorher in dieser Form und in dieser Gestalt nicht existiert hatte. Lorgard war nicht so vermessen, sich für eine Art Gott zu halten. Er sah sich als Künstler, als jemand, der lebendige Ästhetik schuf, dem es gelang, organisches Potenzial zu entfalten und die ganze biologische Kapazität zu nutzen, die in einzelnen Zellen steckte. Jede Kreatur, die sich entsprechend seinen Plänen entwickelte, machte ihn zu einem stolzen Vater, und jeder Erfolg forderte den Künstler in ihm dazu auf, noch mehr zu leisten, Besseres zu schaffen, sich selbst zu übertreffen.
    Der Metamorph war nicht zu übertreffen. Zumindest dann nicht, wenn er den Planungen entsprach. Aber, so flüsterte die – leise – Stimme des Skeptikers in ihm, er barg in sich auch den Keim einer Katastrophe.
    Lorgard schaltete das große dreidimensionale Display auf dem Schreibtisch des Aufsichtsleiters ein. Bilder wanderten durchs Darstellungsfeld, und Lorgard betrachtete sie geistesabwesend, während er versuchte, seine wirren Gedanken zu ordnen. Nach einigen Sekunden stellte er fest, dass ihm das Display die Aufnahmen von visuellen Überwachungssensoren zeigte. Er sah die dunkle Masse des Kontinentalwaldes, eines Dschungels, der sich über mehr als zehntausend Kilometer erstreckte, bis hin zu den Küsten der Smaragdsee. Jener tropische und subtropische Urwald enthielt Myriaden von noch nicht katalogisierten und untersuchten Lebensformen – eine Fundgrube nicht nur für Biologen und Evolutionsforscher, sondern auch für Kreatoren. Wie faszinierend es doch war, die unterschiedlichen Baupläne der Natur zu untersuchen, miteinander zu vergleichen und zu verbessern. Als junger Mann hatte Lorgard große Freude daran gefunden, doch später, nach Entdeckung der Basismasse, war er dazu übergegangen, sich immer mehr von den Vorgaben der Natur zu lösen und Neues zu schaffen.
    Ein im Licht der Sterne und der beiden Monde glitzerndes Band durchschnitt die dunkle Mauer des Kontinentalwaldes: der Acheron, ein breiter Strom, der direkt am Laboratorium vorbeiführte und in einem ausgedehnten Delta ins nahe Riffmeer mündete. Auf den zahllosen Inseln und Landzungen dieses Deltas erstreckte sich die wie ein Tumor wuchernde Millionenstadt Chiron, deren Lichter kurz darauf in der dreidimensionalen Darstellung erschienen. Wie sauber sie aussahen, bunte Edelsteine, im weiten Delta verstreut. Aber von Sauberkeit, so wusste Lorgard, konnte dort gewiss nicht die Rede sein. Die Dunkelheit der Nacht war wie ein gnädiger Vorhang, hinter dem sich jede Menge Schmutz, enttäuschte Hoffnung und Elend verbarg. Natürlich gab es
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