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Die Legende der Wächter 2: Die Wanderschaft

Die Legende der Wächter 2: Die Wanderschaft

Titel: Die Legende der Wächter 2: Die Wanderschaft
Autoren: Kathryn Lasky
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Krähenattacke

    Soren spürte, wie sich die Blindschlange in seinem Schultergefieder vergrub, als er und seine drei Eulenfreunde von der nächsten Windböe durchgerüttelt wurden. Sie flogen nun schon seit vielen Stunden. Soren hatte den Eindruck, dass sich die Dunkelheit allmählich verflüchtigte und das Schwarz der Nacht dem ersten Morgenlicht wich. Unter ihnen schlängelte sich der Fluss wie ein dunkles Band durch die Landschaft.
    „Lasst uns weiterfliegen, auch wenn es schon hell wird“, meinte Morgengrau, der stattliche Bartkauz, der in Sorens Windschatten flog. „Es ist nicht mehr weit, das spüre ich ganz deutlich.“
    Ihr Ziel war das Hoolemeer, das kein richtiges Meer, sondern ein großer See war. Mitten im See lag eine Insel, und auf der Insel stand ein Baum, den man den Großen Ga’Hoole-Baum nannte und in dem eine Gemeinschaft edelmütiger Eulen lebte. Man erzählte sich, dass die Mitglieder dieses Ritterbundes Nacht für Nacht ausflogen und Gutes taten. Sie stärkten die Schwachen, richteten die Verzweifelten wieder auf und entmachteten jene, die Unterlegene ausnutzten. Eine solche Unterstützung hatten die Eulenvölker bitter nötig, denn eine finstere Macht drohte sie allesamt ins Verderben zu stürzen.
    In einem Labyrinth aus Felsschluchten hauste nämlich eine Schar machtgieriger Eulen. Sie führten das Sankt-Ägolius-Internat für verwaiste Eulen, kurz: Sankt Äggie. Mittlerweile suchten ihre Häschertrupps so gut wie jedes Eulenvolk heim. Soren und seine beste Freundin Gylfie waren als flugunfähige Nestlinge nach Sankt Ägolius entführt worden. Auch Morgengrau war seinerzeit entführt worden, hatte aber entkommen können. Diggers kleinen Bruder hatten die räuberischen Eulen sogar gefressen und seine Eltern umgebracht. Soren und Gylfie waren Morgengrau und dem Höhlenkauz Digger kurz nach ihrer tollkühnen Flucht aus dem Sankt Äggie begegnet.
    Anfangs hatte ihre einzige Gemeinsamkeit darin bestanden, dass sie alle vier Waisen waren, doch inzwischen vereinte sie weit mehr. Nach einer blutigen Wüstenschlacht, bei der zwei von Sankt Äggies grausamsten Kriegern den Tod gefunden hatten, hatten die Freunde mit einem Mal eine tiefe Gewissheit in ihren Muskelmägen verspürt, dort, wo bei Eulen der Sitz der stärksten Gefühle ist. Ihre Mägen hatten ihnen gesagt, dass sie von nun an unzertrennlich wären, nach dem Motto: „Einer für alle, alle für einen.“ Sie würden stets als treue Freunde zusammenhalten und verfolgten alle vier dasselbe Ziel: die Eulenvölker der Welt vor dem Bösen zu erretten. Auf dem blutgetränkten Wüstensand, im silbernen Licht des Mondes, hatten die vier einen Schwur abgelegt. Sie würden zum Hoolemeer fliegen und den sagenumwobenen Baum aufsuchen, der die letzte Zuflucht von Vernunft und Tugend in einer Welt war, deren Treiben immer verrückter und schändlicher wurde. Sie mussten ihre Artgenossen vor dem drohenden Unheil warnen. Sie wollten sich der legendären Gemeinschaft ritterlicher Eulen anschließen.
    Zwar kannten sie den Fluss nicht, dem sie jetzt folgten, aber Morgengrau war davon überzeugt, dass es sich um einen Seitenarm des Hoole handelte und dass der große Fluss, der in das Hoolemeer mündete, nicht mehr weit sein konnte. Der Gedanke, schon bald die sagenhafte Insel zu erblicken, verlieh den vier Eulen neue Kräfte. Beherzt flogen sie gegen den stürmischen Wind an.
    Jetzt spürte Soren, wie sich Mr s Plithiver zu seinem Kopfgefieder hochschlängelte. Mr s P., wie er sie zu nennen pflegte, hatte bei Sorens Eltern als Nesthälterin gedient und war eine Blindschlange. Blindschlangen hatten rosafarbene Schuppen und anstelle der Augen nur zwei kleine Vertiefungen im Kopf. Viele Eulenfamilien hielten sich Blindschlangen als Nesthälterinnen. Die Schlangen sorgten dafür, dass die Bruthöhlen stets sauber und frei von Ungeziefer waren. Als er entführt worden war, hatte sich Soren schon damit abgefunden, Mr s P. nie mehr wiederzusehen. Doch wenige Tage nach seiner Flucht aus dem Sankt Äggie hatte er sie wiedergetroffen. Soren hatte schon längere Zeit den Verdacht gehabt, dass ihn sein großer Bruder Kludd aus der Baumhöhle gestoßen hatte, während die Eltern auf der Jagd gewesen waren, und Mr s Plithiver hatte diesen Verdacht bestätigt. Soren hatte den Sturz zwar überlebt, war aber unten auf dem Waldboden vierbeinigen Räubern wehrlos ausgeliefert gewesen, weil er noch nicht flügge war. Von wegen Vierbeiner! Nicht im Traum wäre ihm eingefallen,
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