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Kantaki 02 - Der Metamorph

Kantaki 02 - Der Metamorph

Titel: Kantaki 02 - Der Metamorph
Autoren: Andreas Brandhorst
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möchte noch einmal in die Welt über der Welt, mit dir. Bitte begleite mich auf diesem letzten kleinen Stück meines Weges.«
    Eklund trat näher ans schmale Bett heran, setzte sich auf den Stuhl daneben und ergriff die Hand. Sie war kalt und feucht.
    Und die Kälte floss aus ihr heraus, ging in Eklunds Hand über, kroch von dort aus durch den Arm und erfasste schließlich den ganzen Körper. Das Licht der Chemolampe flackerte, wurde heller, und die Wände der Wohnhöhle wichen fort, lösten sich auf…
    »Das Elysium ist mehr als nur eine metaphysische Sphäre, aus der wir die Kraft des Heilens beziehen«, sagte Darius, und es war kein alter, sterbender Darius, von dem diese Worte stammten, sondern ein Mann in mittleren Jahren, jener, der dem dreizehnjährigen Eklund damals, vor neunundzwanzig Jahren, am Ufer des Riffmeers die Hand gereicht hatte. Er trug dicke Kleidung, und eine pelzbesetzte Kapuze umgab den Kopf.
    Eklund sah sich erstaunt um, und sein Blick reichte über Dutzende von schneebedeckten Berggipfeln hinweg. Lange Flanken aus Eis glitzerten und funkelten im Licht von zwei kleinen Sonnen am tiefblauen Himmel. Es war so kalt, dass Eklunds Atem kondensierte, und außerdem stellte er fest, dass er schneller atmete als sonst – in dieser Höhe enthielt die Luft weniger Sauerstoff.
    »Wo sind wir hier?«, fragte er.
    »Dies ist Alikant im System der Doppelsonne Halmur«, antwortete Darius. »Die Welt meiner Geburt. Als junger Mann bin ich oft in den Bergen geklettert.« Er vollführte eine Geste, die dem Panorama galt. »Wunderschön, nicht wahr?«
    »Wir sind in einer deiner Erinnerungen?«
    »Nimm eine Hand voll Schnee. Nur zu.«
    Eklund kam der Aufforderung nach, fühlte das kalte Weiß und sah, wie sich die Finger röteten und ein Teil des Schnees schmolz.
    »Wie fühlt es sich an?«, fragte Darius. »Kannst du dies von der Realität unterscheiden? Nein? Dies ist das Elysium, die Welt über der Welt, und auf ihre eigene Art und Weise ist sie nicht weniger real als die andere, die wir für ›wirklich‹ halten. Komm.«
    Darius stapfte durch den Schnee, und Eklund folgte ihm den Hang empor. Er beobachtete die schwungvollen Bewegungen des Mannes, und für einen Moment bedauerte er zutiefst, dass dies nicht die Realität der alltäglichen Welt war. Während der vergangenen knapp dreißig Jahre hatte er in Darius einen Vater gesehen, und sein naher Tod schmerzte sehr.
    Weiter oben schmiegte sich eine Hütte an den steiler werdenden Hang, halb im Schnee verborgen. Ein dünner Rauchfaden kam aus dem Schornstein und hätte unter normalen Umständen darauf hingedeutet, dass sich andere Bergsteiger in der Hütte aufhielten, aber Eklund wusste, dass das nicht der Fall war. Diese Hütte stand allein Darius zur Verfügung, und den Personen, die er mitbrachte.
    Die Tür öffnete sich knarrend, und drinnen erwartete sie angenehme Wärme. Ein Feuer brannte im großen Kamin, ein echtes Feuer, keine Simulation oder dergleichen, und der Tisch war für zwei Personen gedeckt. Neben den Tellern standen Becher aus Synthomasse, und ein aromatischer Duft ging von der heißen Flüssigkeit darin aus.
    »Das Elysium kann auch dies sein«, sagte Darius und streifte lächelnd seine dicke Jacke ab. »Bequemlichkeit.«
    Die Mahlzeit bestand aus einer würzigen Suppe mit Dingen, die seltsam aussahen, aber gut schmeckten. Das heiße Getränk erwies sich als anregend, nicht berauschend. Eklund hatte das Gefühl, dass nur einige Minuten verstrichen waren, aber als er zu einem Fenster sah, war es draußen bereits dunkel geworden. Entweder waren die Tage auf Alikant kürzer, oder er hatte gerade einen Zeitsprung von ein oder zwei Stunden erlebt.
    Die beiden Männer saßen sich am Tisch gegenüber, die Teller beiseite geschoben, die Hände um die Becher geschlossen, während das Feuer im Kamin brannte, ohne dass die Scheite zu Asche wurden. Sie brannten und brannten, in einem Augenblick, der sich ewig wiederholte, aber immer ein wenig anders, denn die Flammen waren wie die Wellen des Meeres, einzigartig und individuell. »Du hast sie berührt.«
    »Was meinst du?«
    Einige Sekunden lang bestanden die einzigen Geräusche aus dem Knistern des Feuers im Kamin und der leisen Stimme des Windes, der draußen über die Schnee- und Eishänge wehte. Eklund fühlte eine sonderbare Art von Geborgenheit hier in der Hütte, die ihre Existenz der Vorstellungskraft eines anderen Menschen verdankte.
    »Die Schöpfungsenergie«, sagte Darius langsam. »Die
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