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Kantaki 02 - Der Metamorph

Kantaki 02 - Der Metamorph

Titel: Kantaki 02 - Der Metamorph
Autoren: Andreas Brandhorst
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verband Vergangenheit und Zukunft über die Gegenwart hinweg. Das goldene Licht umhüllte Eklund, der verwundert blinzelte und begriff, dass er den Wechsel ins Elysium vollzogen hatte. Ein goldener Humanoide schwebte vor ihm im Nichts, ein Geschöpf weder Mann noch Frau, zierlich und doch stark, erfüllt von einer Kraft, die ruhte und mächtig war wie ein Ozean an einem windstillen Tag, voller Leben, voller Möglichkeiten. Die Kraft der Schöpfung…
    Ehrfurcht gesellte sich Eklunds Neugier hinzu.
    Ich brauche dich.
    Der goldene Glanz dehnte sich aus, und Eklund stand vor einem uralten Portal aus verwittertem Holz. Er erinnerte sich daran – zum ersten Mal hatte er es bei der Heilung des Jungen mit dem aufgeschlagenen Ellenbogen gesehen.
    Öffne es.
    Er hob die rechte Hand, und als er das Portal mit ihr berührte, schwang ein Flügel auf, und dahinter erstreckte sich eine Welt wie… über der Welt – das war der erste Eindruck, den Eklund gewann. Die goldene Gestalt wartete dort auf ihn, mit einem Gesicht ohne Augen, Nase und Mund. Sie hob die Hand, streckte sie ihm entgegen…
    Ich brauche dich, hörte Eklund, aber nicht mit den Ohren.
    Er hob ebenfalls die Hand, und als er die der goldenen Gestalt berührte, glaubte er, in jenem ruhigen Ozean der Kraft zu schwimmen.
    Ich habe eine Aufgabe für dich.
    »Wer bist du?«, fragte Eklund, und seine Stimme klang anders in dieser Welt über der Welt, älter und reifer.
    Du wirst einmal verstehen, wer ich bin. Sei bereit, wenn es so weit ist.
    Die goldene Gestalt wich zurück. Eklund wollte ihr folgen, aber etwas hielt ihn fest.
    »Wer bist du?«, rief er. »Wofür soll ich bereit sein?«
    Nimm die Kraft, flüsterte es aus der Ferne. Fühle sie. Erinnere dich. Vergiss nicht. Und sei bereit, wenn es so weit ist.
    »Wer bist du?«, rief Eklund erneut.
    »Ich bin immer noch Bruder Darius.«
    Eklund blinzelte erneut und fand sich auf dem Felssims wieder. Darius stand neben ihm, ein Mann, der zu einem Vater für ihn geworden war – einen besseren konnte er sich nicht wünschen.
    »Ich habe… jemanden gesehen«, sagte Eklund. »Eine goldene Gestalt ohne Gesicht. Wie… die Seele der Welt.« Er wusste nicht, woher diese Worte stammten. Sie kamen aus seinem Innern, von dort, wo seine eigene Seele die Kraft berührte.
    »Die Seele der Welt«, wiederholte Darius nachdenklich.
    »So fühlte es sich an. Hast du eine Erklärung dafür?«
    »In der Welt über der Welt gibt es viele Dinge, die wir nicht verstehen«, sagte Darius, als Eklund aufstand. »Vielleicht gelingt es uns irgendwann einmal, alle Fragen zu beantworten. Die Zukunft wird es zeigen.«
     
     
Kerberos · 25. März 369 SN
     
    Bruder Darius starb, und niemand konnte ihm helfen.
    Welch eine grausame Ironie, dachte Bruder Eklund. Wir sind Heiler, aber uns selbst können wir nicht heilen.
    Darius lag in seiner kleinen Wohnhöhle in der Zitadelle, und das Licht einer Chemolampe fiel auf sein eingefallenes Gesicht. Deutlich zeichneten sich die Jochbeine unter der farblosen, faltigen Haut ab.
    »Vielleicht sollten wir ihn nach Chiron bringen, in ein Krankenhaus«, sagte Terod kummervoll.
    »Dazu ist es zu spät«, sagte Schwester Rena, die neben Darius gehockt hatte und sich nun aufrichtete. »Es geht mit ihm zu Ende.«
    »Aber…«, begann Terod und verstummte hilflos. Mit solchen Dingen kannte sich Rena aus. Die Kraft des Elysiums versetzte sie in die Lage zu wissen, wann der Tod unausweichlich war.
    Darius atmete schwer und hob die Lider. Der Blick seiner trüben Augen wanderte durch die Höhle, fand Terod, Eklund und die Seherin. Er seufzte tief und schloss die Augen wieder, und für einen Moment glaubte Eklund, dass er gestorben war. Doch dann kamen die Lider erneut nach oben. »Meine beiden Novizen…«, sagte er. »Ich bin am Ende meines Weges angelangt. Es gilt Abschied zu nehmen, von Personen und Dingen. Terod…«
    »Ja?«
    »Mein Amulett… Ich habe es beim Hirten zurückgelassen. Bitte hol es. Ich möchte es ein letztes Mal berühren.«
    Rena schien mehr in diesen Worten zu hören, und sie nickte knapp. »Ich begleite ihn.«
    Wenige Sekunden später waren Darius und Eklund allein in der kleinen Höhle, nur in der Gesellschaft von Schatten, dort, wo das Licht der Lampe ebenso an Kraft verlor wie der sterbende Alte.
    »Wenn Terod zurückkehrt, bin ich bereits tot«, sagte Darius leise. »Er soll sich nicht zurückgesetzt fühlen.« Eine dürre Hand kam unter der Decke hervor und tastete zitternd nach oben. »Ich
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