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Kantaki 02 - Der Metamorph

Kantaki 02 - Der Metamorph

Titel: Kantaki 02 - Der Metamorph
Autoren: Andreas Brandhorst
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zentrale Essenz dessen, das wir Elysium nennen. Für die meisten von uns ist es nur eine Quelle der Kraft, mit der sie heilen. Aber warum gibt es sie nur hier, auf Kerberos? Warum existiert das Elysium auf keinem anderen bekannten Planeten?«
    Eklund wartete geduldig und beobachtete, wie es in Darius’ Gesicht arbeitete, wie Hoffnung in den graublauen Augen des Mannes leuchtete. »Ich glaube an eine heilige Präsenz auf Kerberos«, sagte er schließlich, und Eklund spürte, wie etwas ganz tief in ihm seufzte. »Ich glaube, dass hier nach der Schöpfung des Universums ein Teil der puren Kreationsenergie erhalten blieb und von jenen genutzt werden kann, die wie wir imstande sind, eine Verbindung mit ihr herzustellen. Vielleicht lernen wir eines Tages, sie auch für andere Zwecke zu verwenden, nicht nur zum Heilen. Vielleicht können wir sie irgendwann auch für andere Dinge nutzen. Dies hier…« Er winkte, und seine Geste betraf die Hütte und ganz Alikant. »… ist eigentlich nur eine Spielerei, ein Ort, an den ich mich manchmal zurückziehe, wenn ich Ruhe brauche. Aber er macht das wahre Potenzial des Elysiums deutlich. Vielleicht gelingt es uns irgendwann einmal, Teil der Schöpfungskraft zu werden.«
    Darius beugte sich ein wenig vor. »Du hast sie ebenfalls berührt, nicht wahr?«
    Und plötzlich verstand Eklund. Bruder Darius, der wie ein Vater für ihn war und ihm mit seiner ruhigen, sanften Sicherheit als Vorbild gedient hatte, reagierte mit tiefer Verunsicherung auf die Nähe des Todes. Er fürchtete das unmittelbar bevorstehende Ende und ersehnte sich nichts mehr als eine Bestätigung dafür, dass all die Dinge, an die er geglaubt hatte, tatsächlich der Wahrheit entsprachen. Zweifel nagte an seiner Gewissheit, und er hoffte, dass der einstige Novize Eklund seine Gewissheit erneuerte.
    Eklund erinnerte sich an das Gefühl, in einem Ozean ruhender Kraft zu schwimmen. Erinnere dich. Vergiss nicht.
    »Die Energie der Schöpfung hat mich berührt.«
    »So fühlt es sich an, beim ersten Mal«, sagte Darius. »In der Pubertät, wenn Hormone alles durcheinander bringen. Aber du hast noch mehr gefühlt, nicht wahr? Was hast du gesehen, damals, in deiner Vision?«
    Draußen wurde die Stimme des Windes lauter, vielleicht ein Zeichen dafür, dass Darius’ Anspannung wuchs.
    »Du glaubst an die Weltseele«, sagte Darius, als Eklund schwieg. »Hast du sie gesehen? Bist du ihr wirklich begegnet, im Elysium?«
    »Ich habe eine Gestalt gesehen«, erwiderte Eklund schließlich. »Eine goldene Gestalt ohne Gesicht.«
    »Die Seele der Welt?« Darius beugte sich noch etwas weiter vor, und die Hoffnung leuchtete heller in seinen Augen. »Gibt es sie wirklich?«
    Eklund musterte den Mann auf der anderen Seite des Tisches, und eine zweite Erkenntnis gesellte sich der ersten hinzu. Darius fürchtete den Tod und noch mehr die Möglichkeit, sich geirrt zu haben. Er fürchtete, dass es auf der anderen Seite nichts als schwarze Leere gab.
    »Ja, es gibt sie«, sagte Eklund und beobachtete, wie sich Falten in Darius’ Gesicht bildeten, wie aus dem Mann in mittleren Jahren binnen weniger Sekunden ein Greis wurde. »Es gibt sie wirklich. Ich weiß nicht, ob sie mit der goldenen Gestalt identisch ist, aber ich weiß, dass die lebendige Seele der Welt existiert. Davon bin ich absolut überzeugt.« Und das sagte er nicht nur, um die grässliche Last des Zweifels von Darius zu nehmen; es war die Wahrheit.
    Darius lehnte sich zurück und wirkte überaus erleichtert, während die Falten komplexe Muster in seinem Gesicht bildeten. »Danke«, sagte er leise. »Danke, Eklund.«
    Und dann verschwand er.
    Der zweiundvierzig Jahre alte Eklund saß allein in einer Berghütte, die aus einer fremden Gedankenwelt stammte und als Teil des Elysiums existierte. Das Feuer brannte weiterhin, ohne die Scheite zu verbrennen, und eine Zeit lang blickte Eklund in die züngelnden Flammen, sah darin schnell wechselnde Muster, so wie er als Kind Muster in Wolken gesehen hatte, die über den Himmel zogen.
    Schließlich stand er auf, öffnete die Tür der Hütte und trat nach draußen in die klare Nacht. Sterne funkelten am Himmel, über den schneebedeckten Gipfeln der Berge, wie kleine, blinzelnde Augen in der Dunkelheit. Der Wind wehte nicht mehr. Ruhe herrschte, ein Frieden, der nicht nur diesen Ort betraf, sondern auch seine Seele.
    »Es gibt sie«, sagte Eklund noch einmal und sprach wie zur lauschenden Nacht. »Und vielleicht kannst du ihr jetzt
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