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Kaltgeschminkt (German Edition)

Kaltgeschminkt (German Edition)

Titel: Kaltgeschminkt (German Edition)
Autoren: Rona Walter
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balanciert mühevoll auf dem gesunden Bein. Ich kauere noch immer auf dem Pflaster, etwas zieht an meinem Hals. Ich hebe schnell die Hand und ertaste mit den Fingerspitzen etwas, das da nicht hingehört. Ich muss den Kopf nicht neigen, um zu sehen, dass meine Finger rot und warm sind. Wieder wird mir schlecht. Er zieht so schrecklich, pocht heftig, der tiefe Schnitt quer über mein Schlüsselbein. Ich erhebe mich vorsichtig. Knöpfe die Reste mei- nes Kragens zu und presse den Stoff fest gegen die mittlerweile heftig blutende Wunde. Dann gehe ich einen Schritt nach links. Er tut es mir nach. So umkreisen wir uns für einen flüchtigen Moment wie zwei blutdurstige Rüden, ehe ich mich auf ihn stürze und ein zweites Mal auf sein verletztes Knie losgehe, diesmal mit der freien Faust. Der Irre knickt ein, diesmal für länger. Jammernd liegt er am Boden. Ich trete ihm mit dem Stiefel an die Brust, so dass er mir das Gesicht zuwenden muss.
    »Mach die Augen auf.«
    Er lässt sie fest zusammengekniffen. Ich bücke mich und drücke die Haut zwischen seinen Brauen und dem Lid nach oben, so dass ich das helle Blau darunter sehen kann.
    »Was habe ich dir getan?«, frage ich gepresst.
    Er zieht es vor zu schweigen.
    »Was habe ich getan?!«
    Nachdrücklich packe ich ihn am Revers und ziehe ihn zu mir heran.
    »Was denn!«
    Das Blau wird intensiver. Komisch. Warum habe ich das Gefühl, keine Antwort zu verdienen? Er starrt mich mit einer Mischung aus Angst und Abscheu an. Wieder geht der ekelhafte Nieselregen auf uns nieder. Er brennt in meiner Wunde. Inzwischen fühlt sich der Stoff auf meiner Haut nass und warm an, angenehmer als die klamme Luft. Mir wird langsam kalt. Auch mein Angreifer zittert. Noch während ich ihn auf das Pflaster fallen lasse, erkennt irgendetwas in mir eine Art Tod in seinen Augen. Beinahe, als wäre er von irgendwoher zurückgekommen. Nur für einen Augenblick. Für diesen hier. Ich sehe ihn an und er fixiert mich, bis ein kaltes Lächeln seine Lippen teilt.
    »Du hast mich getötet.«
    Achtunddreißig Stiche. Sieben Klammern. Ein halber Liter Bluttransfusion. Fünfundvierzig Minuten Aufnahme einer Strafanzeige. Abgebrochene Suche nach der Tatwaffe. Der Angreifer muss bereits seit mehreren Monaten tot gewesen sein.

Zuletzt
    In letzter Zeit komme ich mehr und mehr zu dem Entschluss, dass unsere Welt, wie wir sie erleben, nichts weiter als Einbildung ist. Ein Testlauf über oftmals mehrere Jahrzehnte - je nachdem, wie lang der Lebensfaden von der großen Spule abgerollt wird – um uns vielleicht später für ein Vorsprechen vor einem Gott oder so etwas zu qualifizieren.
    Über jenes Thema unterhalte ich mich angeregt mit meiner wunderbaren Rachelle - mittlerweile ist ein hitziges Gefecht daraus entstanden. Sie, wie immer sieht sie das Gute in Alldem, ist überzeugt, dass man immer das Beste von sich vor Augen halten sollte. Aber gleich ein Himmel? Der Himmel, meine geduldigen Leser, ist ein Märchen; ein sehr schönes, Geborgenheit vermittelndes - zugegeben, dennoch… für so einen Himmel sind wir alle einfach noch nicht reif. Also wozu einen schaffen?
    Es ist tiefe Nacht, unsere erste laue Nacht nach dem unendlichen Winter in der schottischen Einöde und dem märchenhaften Manor, die wir uns nun beide teilen. Rachelle hat diese Geisterburg mit weiblichem Flair perfektioniert, was ich wunderschön finde. Selbst das grauenhafte Bildnis einer kalkweißen, kreischenden Frau, der das helle Haar und zerrissene Kleider um den schwebenden Leib wehen, kann ich akzeptieren. Meist sehe ich es nicht an. Ihre beinahe transparenten Augen machen mir ein ungutes Gefühl.
    Doch mit Rachelle ist es Heimat. Wir schlendern Arm in Arm an der nächtlichen Küste entlang. Gerade kommen wir von einem edlen Abendessen und runden den Abend mit einem Spaziergang zur Küste würdig ab. In der Absicht, sie hier in ihrem eleganten Abendkleid zu lieben, schlendere ich mit ihr fort von vereinzelten Pärchen auf den Klippen.
    »Was macht dir Angst?«, fragt sie mich unvermittelt.
    Eine ganze Menge. Irgendwie habe ich Angst vor unkontrollierten Psychopaten und solchen Dingen. Weiß der Henker, warum.
    »Wenig«, entgegne ich stattdessen salopp.
    Sie schielt mich skeptisch an.
    »Hamster vielleicht. Die können fies zwicken«, meine ich schulterzuckend.
    Sie lacht ihr helles Lachen. »Wirklich?«
    »Nein.«
    »Sag schon«, drängt sie sanft.
    Ich atme tief durch. »Davor, dass ich etwas falsch mache und du mich verlässt.«
    Sie
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