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Kaltgeschminkt (German Edition)

Kaltgeschminkt (German Edition)

Titel: Kaltgeschminkt (German Edition)
Autoren: Rona Walter
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Die Drei wenden ihre unsichtbaren Blicke von mir ab und eine Pullunder tragende Seele mit einem Mundknebel, dessen Öffnungsring keine Fragen offen lässt, stößt mich unsanft beiseite. Er röchelt überrascht, als ich kurz und heftig an der Leine um seinen Hals ziehe. Er flimmert, also haben seine Hinterbliebenen keine Skrupel damit, seine Neigungen auch im Tode zu würdigen.
    Langsam gehe ich vorwärts, ohne zu wissen wohin. Dann spüre ich in meinem Rückgrat einen sanften Druck, der mich in eine Richtung dirigiert. Ich lasse mich führen, bis ich vor einem glattgeschliffenen Felsen stehe. Der Druck lässt nach und ich starre so lange auf die nassglänzende Oberfläche, bis ich befürchte, dass ich doch nicht zurückgeschickt werden soll, sondern hier meine Ewigkeit auf einen Stein stierend verbringe. Verwirrt schärfe ich meinen Blick, als das Gestein kaum merklich zu spiegeln beginnt. Gespannt erwarte ich mich selbst zu sehen und erblicke stattdessen eine Bewegung auf – nein in – nein unter der Ebene. Etwas wabert dort und lässt das Mineral flüssig erscheinen. Ich betaste es mit den Fingerspitzen, doch es bleibt weiterhin fest und unnachgiebig. Dafür ertastet meine Haut ein allzu bekanntes Bildnis. Feine Strähnen umschmeicheln wie Schlangen das puppenhafte kleine Gesicht der Lhiannon Sidhe . Nur ist ihr Haar dieses Mal nicht schwarz. Wie gesponnenes Platin umweht es ihre Züge. Es lässt sie fahl erscheinen, wie Porzellan. Rachelles arrestierte Seele blickt mir unter halbgeschlossenen Lidern entgegen. Zwischen den fächerartigen Wimpern sickert ein schwacher Schimmer hindurch. Auch sie ist nur noch zur Probe am Leben. So wie ich. Wie konnte sie nur so unaufrichtig zu mir sein? Und ich so naiv! Doch hätte ich ihr geglaubt? Wahrscheinlich. Eher nicht. Ich erkenne, dass ich besiegt bin, gebrochen. Jedermanns Spielball. Und dann beginnt es. Bei den Schuhen. Stetig, wie rieselnder Sand, lösen sie sich auf. Dann meine Beine. Fassungslos sehe ich zu, wie alles, was ich noch war, davongetragen wird und die verfaulten Blätter um mich herum berieselt. Ich schreie in Todesangst. Als sich meine Hüften verabschieden, glaube ich ohnmächtig zu werden. Erst als ich nur noch Schultern und Kopf bin, schließe ich die Augen. Nichts bleib von mir übrig. Ein letzter erstickender Schrei löst sich aus meiner trockenen Kehle. Mein Körper ist fortgeweht. Hinterlässt blendend weißen Staub.

    Das ist das schwere Los des Ich-Erzählers und seiner Leser; er kennt nicht die geheimen Gedanken und Gefühle der Anderen, hat jedoch die Macht, ungleich mehr aus ihren Gesten, ihrer Mimik und den feinen Schwankungen der Stimme herauszufiltern, als normalerweise möglich ist. Oder sagen wir, üblich. Nach meinem Erwachen hat mir diese hinreißende Fremde einen Umschlag ausgehändigt. Darin fand ich eine Fotografie, die mich und sie zeigt, wie wir uns liebevoll in den Armen liegen. Scheinbar und gottseidank sind wir ein Liebespaar.
    Trotz des Brummschädels grinse ich breit und sie freut sich mit mir. Ein Brief liegt unter dem Bild und ich erfahre, dass ich ein altes Manor am Loch Awe gekauft habe, dass ich gebürtiger Schotte bin und einen Haufen abgezockter Schlägertypen im Pub in Edinburgh meiden soll. Da steht auch, wie ich mein Versprechen gegeben habe, mit ihr – sie heißt Rachelle – nach Schottland zu fahren, um dort zu leben. Meine Makler, ein Ehepaar Smith, hat sie bereits kontaktiert, damit sie meine Habe nach einem unglücklicherweise katastrophalen Wasserschaden ersetzen sollen. Was ich tue, steht da nicht, aber Rachelle klärt mich auf, dass ich keiner bestimmten Tätigkeit nachgegangen bin. Ich denke ein wenig über ihren Vorschlag nach, einen Buchladen zu eröffnen, spezialisiert auf victorianische Bestseller. Scheinbar hegen wie die gleichen Leidenschaften. Dennoch spüre ich, dass da noch etwas ist. Etwas, das ebenfalls nicht in diesem Brief steht. Eine Seite kariertes Blockpapier. Das also ist mein Leben. Somit bin ich ein Gefangener von Rachelles Schweigen, und nur, wenn sie es entscheidet, werde ich alles erfahren. Auch, was sie getan hat, um mir dieses Leben zu schenken. Denn sie ist meine Retterin. Ich frage sie, ob wir einen Garten haben werden, und sie sagt, dass sogar ein alter Wald zum Grundstück gehört.
    Ich schwöre mir, keine Atropa belladonna zu pflanzen, denen zufolge ich mir eine Vergiftung und eine damit einhergehende Amnesie zugezogen habe. Scheinbar bin ich ein Trottel in Sachen Naturkunde.
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