Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kaltgeschminkt (German Edition)

Kaltgeschminkt (German Edition)

Titel: Kaltgeschminkt (German Edition)
Autoren: Rona Walter
Vom Netzwerk:
Dafür schulde ich ihr alles. Und noch mehr. Jeden Augenblick werde ich ihr versüßen, ihr keinen Kummer bereiten, jeden Wunsch von ihren blitzenden Augen ablesen.
    Vielleicht erzählt sie es mir irgendwann.
    Wahrscheinlicher ist, dass sie es nicht tun wird und mich somit so lang quält, wie sie es will. Dennoch zahle ich einen hohen Preis, denn seit James´ Tod bin ich nun endgültig und unzweifelhaft ihr Geliebter. Ja, ich weiß von James. Dieser miese Schläger, der keinen anderen Mann je in ihrer Nähe dulden wollte. Der zuerst den vermeintlichen Verehrern handfest zu verstehen gab, wessen Freundin sie seiner Ansicht nach umwerben, und anschließend Rachelle zu Hause reglementierte. Glücklicherweise konnte sie ihn verlassen. Nun ist sie bei mir. Mit allem was dazugehört. Dafür bekommen wir beide etwas. Sie kann an mir ihre Vorliebe für Beißspiele ausleben, das was sie dringend braucht, und ich … ich bekomme sie. Mit Haut und Haar. Ganz für mich, niemand kann sie mir je wegnehmen. Weil sie an mich gebunden ist, sagt sie und lächelt geheimnisvoll und ein wenig traurig. Ich jedoch denke: glücklicherweise. Aber ich glaube, sie will auch gar nicht fort von mir.
    Null Uhr. An der Bar haben sich große dunkle Trauben Feiernder versammelt.
    Ich tanze. Ich tanze.
    Eine Seite, die mir an mir sehr ungewohnt erscheint. Ganz wohl fühle ich mich auch nicht dabei. Meine Hände erforschen jeden zuckenden Wirbel an Rachelles Rücken bis hinunter zu ihrem Po. Ihr gespielt tadelnder Blick bringt mich zum Lachen. Wir verkriechen uns in eine unbeleuchtete Nische, beobachten die Tanzenden. Ich liebe das ›Kir‹ , mit seinen verborgenen Ecken und der einfallsreichen un- amerikanischen Dekoration zum Helloweenfest. Eine perfekte Zuflucht für das dunkle Volk Hamburgs. Einige sind verkleidet, ganz sicher bin ich mir bei manchen jedoch nicht. Mittlerweile bedaure ich es beinahe, von hier fort zu müssen. Rachelle macht sich von mir los, um sich bei einem Bekannten am Mischpult ein Lied zu wünschen. Mein glasiger Blick gleitet zwischen den flanierenden Partyleuten umher. Seit einiger Zeit leide ich etwas unter Schweißausbrüchen und Herzrasen, beinahe als wäre ich auf Entzug. Rachelle meint, ich hätte nie geraucht oder irgendetwas geraucht. Noch so eine Sache, die ich ihr nicht ganz abkaufe. Aber es ist mir egal, interessiert mich so wenig wie ein geplatzter Igel. Plötzlich spüre ich eine Berührung an meinem Ellbogen. Ich drehe mich zur Seite und sehe in das weiche Gesicht eines jungen blonden Mannes. Seine runden Augen blicken mich interessiert an. Ich habe ihn noch nie gesehen. Nur seine Knubbelnase kommt mir irgendwie bekannt vor. Er nickt knapp zur Begrüßung und ich erwidere den Gruß.
    »Kann ich dir vielleicht helfen, Kumpel?«, frage ich, als er mich schweigend begutachtet. Beinahe, als müsste er sich alles an mir genau einprägen. Oder sich an etwas erinnern.
    Schließlich spricht er doch. »Kannst du. Komm mit.«
    Und schon bahnt er sich einen Pfad zum Ausgang. Als ich wenige Sekunden nach ihm aus dem Dunst der Bar hinaus auf den regennassen Hinterhof trete, scheint er fort zu sein. Ich drehe mich hektisch im Kreis und entdecke ihn schließlich in einer unbeleuchteten Garageneinfahrt. Er wirkt etwas deplatziert und fremd in seiner ausgebeulten Jeans und dem zu weiten, hellblau gestreiften Hemd.
    »Kann ich dir irgendwas Gutes tun, Alter?« wiederhole ich meine Frage.
    Er regt sich nicht. Doch etwas schiebt sich in seinem Ärmel entlang nach unten, genau in seine offene Handfläche. Dann packt er zu und umklammert es so fest, dass seine Finger weiß werden. Ich gehe langsam einige Schritte zurück, als es im Schatten für einen Moment aufblitzt. Ein Moment, der mir völlig reicht. Noch ehe er seine Waffe heben kann, spurte ich los und trete ihm mit voller Wucht gegen das Knie. Bei dem knackenden Geräusch seines brechenden Knochens wird mir kurz übel. Er sieht mich überrascht an. Seine Augen werden nass und er bricht in sich zusammen. Ich nähere mich vorsichtig, gehe wenige Schritte vor ihm in die Hocke. Das Gesicht auf die Oberschenkel gepresst liegt er keuchend auf dem feuchten Boden. Ich bin nicht gutgläubig genug, um die Hand nach ihm auszustrecken, stattdessen beobachte ich ihn genau.
    »Was sollte das werden, Keule?«, wispere ich. »Was ist mit dir passiert? Hm?«
    Er schüttelt den Kopf, zuerst leicht, dann immer heftiger. Mit einem Mal schnellt er auf, landet einen Hieb in meine Richtung und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher