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Der Brandstifter

Der Brandstifter

Titel: Der Brandstifter
Autoren: Jane Casey
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Sie hätte sich doch lieber zusammen mit den anderen auf den Heimweg machen sollen.
    Kelly Staples betrachtete sich in dem gesprungenen, fleckigen Spiegel und versuchte, sich den Anblick zu erklären. Sollte das wirklich ihr Gesicht sein? Die Wimperntusche war unter den Augen verschmiert und hatte schwarze Schatten und Flecken hinterlassen, die sich nicht abrubbeln ließen, sosehr sie sich auch mühte. Die Überreste ihres Make-ups waren an Nase und Stirn verkrustet, und die Haut sah ausgetrocknet aus. Ihr Gesicht war gerötet, und am Kinn entdeckte sie einen Pickel, der vor dem Ausgehen ganz sicher nicht dort gewesen war. Ihre Lippen waren schlaff und feucht, und mit ihrem Oberteil stimmte auch etwas nicht… Mit großer Anstrengung beugte Kelly den Kopf nach unten und inspizierte das Malheur. Wein, dachte sie benebelt. Sie hatte sich Rotwein über die Sachen gekippt. Verschwommen erinnerte sie sich, wie sie mit hysterischem Lachen und spitzen Fingern den triefenden Stoff festgehalten und einem Unbekannten offeriert hatte, den Wein herauszusaugen, damit er nicht verschwendet wurde. Daraufhin hatte Faye sie von ihm weggezerrt und ihr ärgerlich ins Ohr gezischt, sich gefälligst zu benehmen. Aber Kelly hatte sie daran erinnert– oder es zumindest versucht–, dass dieser Abend ja gerade den Zweck hatte, sich einmal nicht zu benehmen. Sie war mit ihren Freundinnen in Richmond auf Kneipentour gegangen– eine aufgebrezelte, ziemlich beschwipste Truppe in alberner Stimmung. Das Semester war fast um, und alle hatten eine kleine Auszeit nötig. Vor allem sie selbst, da sie sich erst vor drei Wochen von P. J. getrennt hatte. Oder besser gesagt, er sich von ihr. Zwei Jahre waren sie zusammen gewesen, und er hatte sie einfach fallen lassen, um Vanessa Cobbet hinterherzurennen, dieser fetten Schlampe. Eine Träne lief Kelly über das Gesicht und glitt über die Reste ihres Make-ups.
    Sie hatten zu Hause mit Wein angefangen, um ein bisschen vorzuglühen, wobei sich Kelly schon einige Gläser genehmigt hatte. Sie war so fertig mit den Nerven, dass sie das einfach brauchte. Außerdem kam der Abend damit gut in Schwung.
    Der Raum hinter ihr schwankte und drehte sich. Kelly schloss die Augen, lehnte sich schwerfällig ans Waschbecken und wartete, dass das Schwindelgefühl nachließ. Sie hatte sich schon übergeben und gehofft, dass es ihr danach besser gehen würde. Hinter ihr knallte eine Klotür. Eine nicht mehr ganz junge, knochige Frau schob sich an ihr vorbei und warf ihr einen Seitenblick zu, der sagte: Du bist doch noch viel zu jung für einen solchen Zustand. Kelly traute sich nicht, es laut zu sagen, dachte aber: Und du bist ja wohl viel zu alt für diesen Laden.
    Im Waschraum war es eng. Die zwei Toiletten und zwei Waschbecken hatte man in die hinterste Ecke der Kneipe gequetscht. Es roch beißend nach Raumspray und süßsäuerlich nach erbrochenem Wein– was Kellys Anteil war. An der Einrichtung konnte man sehen, dass der letzte Umbau in den Achtzigern oder noch davor stattgefunden hatte: rosafarbene Keramik und Vorhänge mit rosa-braunem Blumenmuster, die schlaff vor dem Milchglasfenster hingen. Der Rest des Lokals war auch nicht viel ansprechender, obwohl man bei der spärlichen Beleuchtung nicht viel davon sah. Das Jolly Boatman hatte eindeutig schon bessere Zeiten erlebt– so wie die meisten Gäste. Trotzdem war es ziemlich voll, und es wurde viel getrunken. Sämtliche Kneipen am Fluss waren bestens besucht; schließlich war es Donnerstagabend, der inoffizielle Start ins Wochenende. Alle waren in Feierlaune, einschließlich Kelly. Aber irgendwann war alles aus dem Ruder gelaufen. Die anderen waren schon gegangen, und sie erinnerte sich verschwommen, wie sie zu ihr gesagt hatten, sie solle mit dem Taxi heimfahren. Sie hatte mit jemandem getanzt, einem Typen, den sie nicht kannte, und Faye hatte versucht, sie zum Mitkommen zu überreden, aber sie wollte nicht. Sie hatte keine Lust dazu. Jetzt war sie mal dran, Spaß zu haben. Die anderen hatten sie gelassen und waren gegangen. Kelly konnte nicht mehr nachvollziehen, warum sie das zugelassen hatte.
    » Ich bin besoffen«, sagte sie laut und versuchte, ihrem verschwommenen Spiegelbild in die Augen zu schauen. » Ich muss nach Hause.«
    Der Inhalt ihrer Handtasche lag im Waschbecken verstreut. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, bis sie alles wieder eingesammelt hatte. Ihre Hände waren so ungeschickt, und da lagen so viele Dinge– ein Stift, Schminkzeug, ihr
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