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Ruf Des Dschungels

Ruf Des Dschungels

Titel: Ruf Des Dschungels
Autoren: Sabine Kuegler
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Prolog
    I ch habe eine Freundin, sie heißt Mari. Sie ist eine Papua.
    Wir wohnten damals in der Hauptstadt von West-Papua, Indonesien. Meine Eltern waren mit meiner Schwester Judith, meinem Bruder Christian und mir nach Jayapura gezogen, um dort als Sprachforscher und Missionare zu arbeiten. Wenige Wochen nach unserer Ankunft lernte ich Mari kennen.
    Ich weiß nicht mehr genau, wo und wie wir uns zum ersten Mal trafen, eines Tages war sie einfach da. Mari ernannte sich kurzerhand selbst zu meiner Freundin und Beschützerin. Von diesem Tag an verbrachten wir jede freie Minute miteinander und erkundeten eine für mich neue, faszinierende Welt. Eine Welt, die ich vom ersten Moment an liebte, so bunt, so lebendig und so voller Abenteuer war sie.
    Wir wohnten in einem einfachen Haus aus Zement, dessen Fenster mit Fliegengittern bespannt waren. In dem kleinen Garten stand eine hochgewachsene Palme, die sich unter dem Gewicht der vielen Kokosnüsse bog. Eine lange, ungepflasterte Zufahrt führte zu unserem Grundstück und trennte uns von unseren Nachbarn, deren Haus direkt an die Hauptstraße grenzte. Meine Eltern hatten dieses Haus ausgesucht, weil es etwas abseits von der Straße, dem Lärm und den Abgasen lag.
    Auf der anderen Seite der Hauptstraße stand Maris Haus. Sie wohnte dort mit ihrem Vater, ihrer Schwester und den zwei Brüdern. Ich kann mich nicht an ihre Mutter erinnern, ich glaube, sie lebte nicht mehr. Maris Haus war ebenfalls aus Zement und Holzbrettern errichtet, aber einfacher als unseres. Es gab fast keine Möbel und keinerlei Wandschmuck bis auf ein altes, ausgeblichenes Poster an der Innenseite der Haustür.
    Direkt neben Maris Haus war ein kleiner Laden, wo es fast alles zu kaufen gab. Der Besitzer war sehr nett zu uns. Hin und wieder schenkte er uns Süßigkeiten, und dann saßen Mari und ich auf zwei Plastikstühlen in einer Ecke seines Ladens und beobachteten die Leute beim Einkaufen.
    Die meiste Zeit aber verbrachten wir draußen und erkundeten die Umgebung um Maris Haus. Wir spielten Verstecken zwischen den Bäumen, zwischen heruntergekommenen Häusern und in schmutzigen Höfen. Heimlich pflückten wir Obst von den Bäumen, bis uns die wütenden Besitzer verjagten und uns mit Prügel drohten oder damit, es unseren Eltern zu erzählen.
    Eines Tages, wir hatten uns ziemlich weit von Maris Haus entfernt, hörten wir plötzlich Schreie. Erstaunt sahen wir uns an und rannten, neugierig geworden, in die Richtung, aus der die Schreie kamen. Da so gut wie nie etwas wirklich Aufregendes passierte, wollten wir dieses Ereignis auf keinen Fall verpassen. Rasch erreichten wir einen größeren Gebäudekomplex, und ich spähte um die Ecke, Mari direkt hinter mir. Vor mir sah ich einen grasbewachsenen Hof, umgeben von mehreren einstöckigen Wohnhäusern. Ich weiß noch, wie sauber alles auf mich wirkte, ganz im Gegensatz zu den unordentlichen und überfüllten Höfen, die ich sonst so kannte.
    Mehrere Männer in Uniform standen in der Mitte des Hofes. Ich war durchaus an Polizisten und Militär gewöhnt, sie gehörten zum alltäglichen Straßenbild und waren für West-Papua nichts Außerordentliches. Aber etwas an dieser Situation war anders. Weit und breit war keine Menschenseele zu sehen, der Platz wirkte bis auf die Männer wie ausgestorben. Da ertönte erneut ein Schrei, der Schrei einer Frau. Sie klammerte sich an einen Mann, den die Polizisten in die Mitte des Platzes trieben, dorthin, wo schon zwei andere Männer auf der Erde knieten. Ich wusste in diesem Moment, dass hier etwas Schreckliches geschah, etwas, vor dem ich fliehen, die Augen verschließen sollte. Aber ich war wie erstarrt, unfähig, mich zu bewegen, unfähig wegzusehen.
    Einer der Uniformierten drehte sich zu der schreienden Frau um und trat mit seinen Stiefeln so lange auf sie ein, bis sie den Mann losließ. Dann zwangen die Polizisten ihn, sich neben den beiden anderen Männern niederzuknien. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, nur seinen schwarzen, krausen Haarschopf. Einer der Polizisten stellte sich hinter die drei Männer und begann mit lauter Stimme zu sprechen. Ich weiß nicht mehr, was er sagte, ich starrte nur wie gebannt auf das Szenario, das sich wenige Meter von mir entfernt abspielte. Plötzlich zog der Polizist eine Pistole, stellte sich hinter den ersten der drei Männer und drückte ab. Ein lauter Knall hallte durch die Luft. Ich zuckte zusammen, mein Herz setzte für einen Moment aus, und ich spürte, wie mir das
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