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Kaltgeschminkt (German Edition)

Kaltgeschminkt (German Edition)

Titel: Kaltgeschminkt (German Edition)
Autoren: Rona Walter
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Halloweenmädchen aus Taynuilt. Das Haar hängt inzwischen in unordentlichen Locken über den Kunststoff der Maske, die seltsam verzogen ihr Gesicht bedeckt. Das irre Grinsen fixiert mich schief, als sie sich weiter vorwärtsschleppt.
    Mein Begleiter schlägt mir heftig auf die Schulter, stößt mit dem Zeigefinger in ihre Richtung. »Wow! Die ist heftig! Die hat es faustdick hinter den Ohren!«
    Er genießt meine Unwissenheit förmlich und ein klein wenig bereue ich mein Desinteresse anderen Lebewesen gegenüber.
    »Sag nicht, dass du noch nie was von der gelesen hast!«
    Er schüttelt ungläubig seinen Rummsmurmelkopf. Natürlich lässt er sich nicht lange bitten, ehe er mir die Geschichte des bedauernswerten Dorfmädchens erzählt.
    »Also. Vor ein paar Wochen sind irgendwo in Schottland junge Pärchen verschwunden. Genauso auch die beiden Jahre davor. Immer genau an Halloween. Schüler und Studenten und so was. Die ganze Nacht hat man immer wieder Leute vermisst. Sie haben sie am Morgen in irgendeinem Weiher – oder wie die das nennen – gefunden. Komplett mit Steinen zugeschaufelt. Beschwert, so dass die Körper nicht nach oben geschwemmt werden konnten. In einer Bucht haben sie dann das junge Ding da gefunden, wie es wie eine Wahnsinnige Steine heranschleppt, gerade, dass sie die allein tragen konnte. Haben dann gefragt, was sie da macht. Und sie sagt, sie war eifersüchtig, dass sie keinen Freund hat.«
    Na toll, wie vorhersehbar. Ich wende mich desinteressiert ab. Mich kümmert die Vergangenheit meiner Kunden nie. In der Regel mache ich einfach meine Arbeit.
    »Und das Beste an der Geschichte: Was sagt sie zu den Bullen?« Er ahmt einen Tonfall nach, den er für mädchenhaft hält: »`Das wollt ihr doch an Halloween. Angst haben.´ Köstlich! Angeblich haben die sie gehänselt. Und sie wurde von einem der Väter der Opfer nach dem Gerichtsbeschluss abgestochen. War in allen Zeitungen, Mann. Weltweit.«
    Eine kleine Schlächterin. Interessant. Der innerste Kreis der Höllen ist wirklich für die Creme de la creme reserviert.
    »Hey! Pärchenhasserin!«, brüllt er ihr hinterher. »Schicke Maske!«
    Sie wendet sich nicht einmal um. Seltsam nur, dass ich sie hier sehe, da ich ihr nie das Aeonum injiziert habe.
    Ich hebe den Blick, drehe mich im Kreis. Einige der Seelen flimmern tatsächlich, ebenso wie Mina Knightley. Jedoch viele, der Löwenanteil, sind ebenso fixiert wie mein lustiger Freund hier. Ich beobachte die Kandidaten mit den Scharfstellungsproblemen genauer. Ihr Gang ist im Gegenzug zu den anderen schleppend, die Schultern ziehen sie nach unten, den zähen Nebelschwaden entgegen, als wäre ihnen ihre Schuld geradewegs auf die geschwächten Schultern gehievt worden. Ihre Augen sind leer, ihre Gesichter gelangweilt. An mir selbst sehe ich nicht hinab. Ich kenne das Resultat bereits. Mir kommt der Gedanke, dass wir doch alle hier landen werden. Und es ist auch jenseitig nicht fairer, als auf der Spielwiese auf der anderen Seite des Spiegels. Denn Mina Knightley und ihre flackernden Leidensgenossen haben keinerlei Bewusstsein hierher mitnehmen müssen. Obwohl sie eine Mörderin ist. Vielleicht vergeben die Drei auch ab und an. Oder zählen die Leiden unseres Lebens als Sühnen - wie den hinterhältigen Mord an Mina S. Knightley. Schön. Nur ist so etwas kaum menschlich. Ich sehe das milchige Gummi der Maske zwischen den Sträuchern verschwinden. Sie ist noch nicht an der Reihe. Unerkannt, im Dunkel bleiben. Wer will das nicht. Ich gebe zu, es erschüttert mich nicht unerheblich, wie naiv man an den Gräbern der Verstorbenen jammert, ihnen eine ewige Ruhe zugesteht und darüber hinaus völlig ahnungslos ist, wie viel Rastlosigkeit und Qual sie noch lange danach erdulden. Sie sind längst tot und wir verstehen nicht, dass man auch die Seele begraben muss. Zum ersten Mal sehe ich mich als das, was James bereits in der Bibliothek andeutete. Wir sind Fährmänner, Türsteher einer Existenz, die wir nicht verstehen. Und dann beginnt es.
    Wir sehen sie. Vielmehr nicht sie, sondern ihre Schatten. Oder sind sie die Schatten?
    Einer ist hell, beinahe elfenbeinfarben. Strahlend. Er wirkt feminin zwischen den kargen Ästen hindurch. Zu seinen gleißenden Füßen windet sich einer der drei Pfade von denen mir bereits erzählt worden ist. Genau wie bei unserer ersten Begegnung vor einer gefühlten Ewigkeit hebt er grüßend die Hand. Neben ihm steht leicht gebeugt ein rauchfarbener Schatten, ausgeblichen und matt. Er
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