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Rittermord

Rittermord

Titel: Rittermord
Autoren: Edgar Noske
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Kapitel 2
    Mai 1997
    Kyllburg
     
    Er hieß entweder Karajan, Barenboim oder Celibidache, ich wußte es nicht mehr. Jedenfalls wie einer dieser Dirigenten. Als ich an die Glastür des Windfangs der Villa Rütt klopfte, hob er träge das linke Lid. Seinem einäugigen Blick nach zu urteilen, interessierte ich ihn wie Hundegebell in Ostpreußen. Ich klopfte noch einmal. Das animierte den Neufundländer immerhin, sich auf die Seite zu wälzen, sich zu strecken und mit dem Schweif auf die Fußmatte zu klopfen. Dadurch kam ein kleines Pappschild mit Tesastreifen über den Ecken zum Vorschein, auf dem er gelegen hatte: »Klingel defekt – Bitte den Seiteneingang benutzen«.
    Die Seitentür stand offen. Ich klopfte trotzdem an und rief »Hallo?«. Zur Antwort heulte ein Staubsauger tief im Inneren des Hauses auf. Ich trat ein, stieg ein paar Stufen hoch und folgte dem Lärm bis zur Quelle. Die lag im Fernsehzimmer, einem drei mal vier Meter großen Raum, der quer durch alle Stile so möbliert war, daß bei Bedarf acht Personen gleichzeitig in der ersten Reihe sitzen konnten.
    Der Vorwerk-Oldtimer wurde von einer Frau herumbugsiert, die mit Jeans, einer weißen Bluse und beigen Mokassins bekleidet war. Zur Bändigung ihrer kastanienbraunen Mähne trug sie ein Stirnband. Die Arbeit tat sie mit ruckartigen, energischen Bewegungen, dabei warf sie immer wieder kurze Blicke aus dem Fenster, als seien die Teppiche schuld, daß es nach Regen aussah.
    Bis auf zehn Zentimeter reichte sie locker an meine eins achtzig heran, wog andererseits bestimmt vierzig Kilo weniger, als ich zur Zeit auf den Rippen hatte. Die Frau war achtunddreißig Jahre alt, hieß Regina Echternach, war die Inhaberin der Pension und so was ähnliches wie meine Stiefschwester. Um mich bemerkbar zu machen, zog ich den Stecker.
    Ihr Blick folgte dem Kabel, und als sie mich entdeckte, fuhr sie zusammen, als stünde der Sensenmann im Rahmen. Aber nur für Sekunden, dann hatte sie ihre Contenance wiedergewonnen.
    »Thomas Henschel«, sagte sie, wobei sie sich auf den Staubsauger stützte wie ein Bauarbeiter auf seine Schaufel. »Ich hätte dich beinahe nicht erkannt. Du siehst entsetzlich aus. Schläfst du neuerdings unter Brücken?«
    »Als wir uns das letzte Mal gesehen haben, hast du mich noch mit Götz George verglichen.«
    »Du verwechselst Duisburg mit Saarbrücken. Ich hab gesagt, du siehst aus wie Max Palü. Dafür würde ich mich heute allerdings in aller Form entschuldigen. Bei Herrn Senf natürlich.«
    »Schön, daß in diesen unruhigen Zeiten wenigstens auf eins Verlaß ist: Du bist und bleibst ein Giftzahn, Gina.«
    »Okay, eins zu eins. Im übrigen kommst du sechs Monate zu spät. Die Beisetzung deines Vaters war am achtundzwanzigsten Dezember. Soll ich dir den Weg zum Friedhof beschreiben?«
    »Liegt er im gleichen Grab wie deine Mutter?« Ich drehte mich zu dem anderthalb Quadratmeter großen Ölporträt der Grande Dame Echternach um. Sie war eine hagere Frau mit strengen Zügen und stechendem Blick gewesen, die sich vorzugsweise mit Lavendel parfümiert hatte. Was mein Vater an ihr gefunden hatte, war mir schon immer schleierhaft gewesen.
    »Sie waren im Leben vereint, das hat ihnen genügt. Außerdem hätte der Pastor da wohl kaum mitgespielt.« Gina legte den Kopf schräg. »Was treibt dich her? Willst du die Habseligkeiten deines Vaters abholen? Alles, was er besaß, steht in zwei Kartons verpackt im Keller. Du kannst sie mitnehmen.«
    »Schenk den Kram der Caritas«, sagte ich und setzte mich zur Vorbeugung einer Kreislaufschwäche in den nächstbesten Sessel. Da die Polsterung nur aus Schaumstoff bestand, sackte ich durch. »Geld hat er nicht zufällig hinterlassen?«
    Gina lachte auf. »Geld? Was für Geld? Er hatte nicht eine Mark eigenes Einkommen. Er hat mit von dem gelebt, was die Pension einbringt.«
    »Was nur recht und billig war. Schließlich hat er deiner Mutter die Bude hier finanziert.«
    »Voilà«, höhnte sie. »Wußte ich es doch, daß du ruck-zuck wieder auf den Punkt kommen würdest. Fehlt nur noch, daß du sagst, hätte er damals die Villa und die Gärtnerei nicht gekauft, wäre seine Firma nicht pleite gegangen, und du und deine Mutter hätten nicht in Armut leben müssen.« Sie lockte mich mit dem Zeigefinger wie die Hexe den Hansel. »Komm, komm, sag’s schon.«
    Es war zwar erst halb elf, aber hätte mir jemand ein Bier angeboten, ich hätte mich nicht gesträubt. Eifel macht durstig.
    »Tatsache ist, daß mein Erzeuger,
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