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Rittermord

Rittermord

Titel: Rittermord
Autoren: Edgar Noske
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er?«
    Ich beließ es bei einem vielsagenden Gesichtsausdruck. Einen Gute-Nacht-Kuß bekam ich nicht. Aber damit hatte ich auch nicht gerechnet.

Kapitel 5
    B 51
     
    Der Himmel war wolkenlos, die Temperatur lag bei achtzehn Grad, und im Westen versank die Sonne bereits den dritten Abend hintereinander nach einem Gemälde von Caspar David Friedrich. Wir hatten meinen Golf Diesel genommen, aber Gina saß am Steuer, um sich an den Wagen zu gewöhnen, weil sie meinte, zurück müsse sie sowieso fahren.
    Kurz hinter Prüm war die Dose Bit, die ich im Eisfach vergessen hatte, soweit angetaut, daß ich den Inhalt nicht mit einem Eispickel bearbeiten und lutschen mußte. Trotzdem zog mir die Kälte beinahe die Plomben aus den Backenzähnen.
    »Wenn du mir gesagt hättest, daß das ein Kostümfest wird, hätte ich mich auch verkleidet«, sagte ich. »Bettlaken, Handtuch, ein Meter Kordel – und fertig ist der Scheich.«
    »Vielleicht hab ich deshalb nichts gesagt«, sagte Gina. »Wir fahren nämlich zu Ritterfestspielen und nicht zum Rosenmontagszug. Von einem Kostümfest kann überhaupt keine Rede sein.«
    »Dann frage ich mich, warum du aussiehst wie Gustav Adolfs Page.«
    Gina steckte in einer Art Pumphose und einem stark taillierten Wams, beides aus nachtblauem Samt und reich bestickt. Dazu gehörten schwarze Schnürstiefelchen, bei deren Anblick meine Hühneraugen drückten. Ein Hut Modell Melanchthon lag auf dem Rücksitz und komplettierte die Aufmachung.
    »Wer will, kann sich der Zeit entsprechend zurechtmachen«, sagte sie. »Das ist aber kein Muß. Die meisten kommen in Zivil.«
    »Und was stellst du dar? So ist doch damals keine Frau rumgelaufen.«
    »Das sind die Sachen, die Maria Stuart auf der Flucht trug.«
    Die Selbstverständlichkeit, mit der sie das sagte, nötigte mich zu einem Lacher. »Woher willst du wissen, was Maria Stuart getragen hat?«
    »Ich hab das Stück fünfmal gesehen. Am Ende der Spielzeit hab ich die Sachen dann aus dem Fundus ersteigert.«
    »Du gehst ins Theater? Das hätte ich dir gar nicht zugetraut.«
    Auf dieses Kompliment hin geriet der Wagen ins Schleudern, daß mir die Bierbüchse aus der Hand rutschte. Während ich gegen den ständig blockierenden Gurt kämpfte, der mich daran hinderte, die Dose zu fassen zu kriegen, gelang es Gina, den Golf kurz vor dem Straßengraben abzufangen und auf die Fahrbahn zurückzusteuern.
    Dabei schrie sie mich an: »Du glaubst wohl auch, Bildung sei nur was für Leute aus Städten mit über hunderttausend Einwohnern, und wir hier draußen hätten keinen Schimmer von Literatur, Musik und Theater! Mag sein, daß der Kyllburger Kreisverkehr kleiner ist als der Bonner Verteilerkreis, mag sein, daß die Telefonnummern hier nur vierstellig sind, das heißt aber nicht, daß unser Horizont am nächsten Höhenrücken endet!«
    Ich war völlig perplex. »Das hab ich doch überhaupt nicht behauptet.«
    »Du hast mir unterstellt, ich sei eine Kulturbanausin«, schäumte sie weiter und zeigte mir ihre Zähne. »Dann fragen wir dich doch mal: Wer hat denn Maria Stuart geschrieben?«
    »Was? … äh … vielleicht Heine?«
    »Heine!« Ihr Lacher knallte los wie eine zerplatzende prall aufgeblasene Papiertüte. Mir dröhnten nachhaltig die Ohren, so daß ich ihr Schluchzen erst mit Verspätung registrierte: »Das Stück ist von Schiller, Schiller, Schiller …«
    Gina war tränenblind, das hieß, wir mußten den Wagen gemeinsam zum Stehen bringen. Auf mein Kommando hin kuppelte sie ein und bremste, und ich nahm den Gang heraus und lenkte den Wagen auf den Seitenstreifen.
    »Ganz ruhig, Mädchen, ganz ruhig«, sagte ich, zog die Handbremse an und legte Gina den Arm um die Schultern. »Ganz ruhig.«
    Sie schüttelte mich ab. »Ach, laß mich! Ich will allein weinen.«
    Ich tat ihr den Gefallen und stieg aus, marschierte zweihundert Meter die Straße entlang und kehrte wieder um. Die Luft roch würzig. Vorne rechts fehlte die Radkappe.
    Bevor ich wieder einstieg, verfrachtete ich die Fußmatte in den Kofferraum. Trotzdem stank’s im Innenraum penetrant nach Bier. Gina trocknete ihre Tränen, schneuzte sich und kontrollierte ihr Make-up im Innenspiegel auf Beschädigungen.
    Ich hüstelte, um mich bemerkbar zu machen. »Gibt’s für die Überreaktion eine Erklärung, oder soll ich mir meinen Teil denken?«
    »Zunächst einmal solltest du dir abschminken, daß du ein Monopol auf Schwierigkeiten hast« raunzte sie mich an. »Außer dir gibt’s noch andere Leute, die
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