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Kaltgeschminkt (German Edition)

Kaltgeschminkt (German Edition)

Titel: Kaltgeschminkt (German Edition)
Autoren: Rona Walter
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lumpenbehangenen Männer hungern, wetzen ihre Messer und andere scharfkantige Gegenstände. Schuhlöffel, Haken, Scherben. Wahrscheinlich ist ihnen längst das Fleisch ausgegangen. Angeekelt wende ich mich ab und lasse den Topf fallen. Es klirrt ohrenbetäubend, doch keine der Kugeln ist auch nur beschädigt. Abgesehen davon, dass ich nie auch nur den Hauch von einem inneren Auge bei mir bemerkt hatte, gehe ich seelisch zerschlagen auf die Knie.
    Das Bildnis schwindet und eine Hand legt sich mir auf die Schulter. »So ist der Kreislauf der Hölle. Es hört nie auf. Die Ewigkeit ist ein störrisches Luder, das ewig weiterfeiern wird. Das erwartet dich, wenn du loslassen möchtest. Oder ein Leben in unserem Dienst. Deine Entscheidung. Du hast nicht viel Zeit. Sag ja … oder lass es sein.«
    Wie in Trance nicke ich mit dem Kopf. Ich bin wirklich nicht feige, aber um keinen Preis der Welt möchte ich dieses Los ziehen. Es kommt ohnehin früh genug auf mich zu. Denn was ist schon ein Menschenleben? Ein Augenaufschlag der launigen Natur, mehr nicht.
    Angesichts dieser Vorstellung gerade eben, erscheint mir mein bisheriges Leben beinah voller psychedelischer Blumen. Lächerlich, sich um ranziges Brot zu sorgen, oder um den steilen Rand des Existenzminimums. Hätte ich gewusst, was mich nach der großen Grenze erwartet, hätte ich es einfach gelassen, meinen Tod zu planen.
    »Gut«, raunt die dunkle Stimme neben mir. »Er wird seinen Zweck erfüllen. Zunächst.«
    Beleidigt meldet sich die jüngere Stimme zu Wort. »Er ist ebenso gut oder schlecht wie jeder andere von Millers Schützlingen. Und ich hasse es, wenn du mir den Mund verbietest. Also entschuldige bitte, aber –«
    »Nein!«, unterbricht die tiefe Stimme erneut. Aussprechen lassen gehört eindeutig nicht zu ihren jenseitigen Umgangsformen. Ein wenig Mitgefühl steigt in mir für den jungen Quengler auf. »Ich entschuldige nicht!« Seine Stimme ist wie eine donnernde Flut über mir. Es folgt ein Augenblick der Stille, oder länger. »Und nun schickt ihn zurück.«
    Die Atmosphäre wird leichter, weicher. Die düstere Stimme hat sich samt seinem Besitzer eindeutig davongemacht.
    Obwohl ich protestieren möchte, bekomme ich keinen Laut heraus, lediglich ein heiseres Wimmern kündet von meinem Unmut. Ich schüttle panisch den Kopf, versuche mit Gewalt die Augen zu öffnen. Doch alles, was ich erkenne, ist eine helle, zarte Silhouette, neben der eine eher androgyne dunklere steht. Die hellere hebt eine schemenhafte Hand und verweilt in dieser Stellung. Meine Augen brennen wie Feuer. Verzweifelt fange ich an zu keuchen und bemerke beschämt, wie ein paar Tränen über mein Gesicht laufen.
    Ein Sog zieht kräftig an mir, um mich wieder in die Vorhölle der realen Unterwelt Edinburghs zurückzuwerfen. Ich stemme mich mit aller Macht dagegen, halte mich an den dicken Farnen fest, die ich in die Finger bekomme, und nehme gern in Kauf, dass mich ihre scharfkantigen Blätter ins Fleisch schneiden. So, als wollten sie meine Rückkehr besonders schmerzhaft unterstützen. Dann fühle ich gesplittertes Holz unter mir, eine klebrige Flüssigkeit breitet sich um meinen Körper. Ich lasse die Augen geschlossen, ruhe meine verdrehten Glieder aus und schlummere erst einmal ein wenig.
    Ich bin kein Kind des Lichts und ich glaube an die Endlichkeit. Doch was mir soeben widerfahren ist, lässt hysterische Stimmchen in meinem gefolterten Gehirn kichern, so dass ich endgültig nicht mehr weiß, wo mir der Kopf steht. Eher unbewusst wird mir im Dämmerzustand klar, was ich über Mr. Miller gehört habe. Über sein Ableben, genauer gesagt.
    Verwirrt versuche ich mich zu regen, werde durch den scharfen Schmerz überall in meinem Körper zur Raison gezwungen und versuche es noch einmal mit etwas Vorsicht. Übelkeit schüttelt mich und ich erbreche alles, was ich noch in mir hatte, zwischen meine Beine. Einen Augenblick sehe ich mir die Sauerei aus Blut und halbverdautem Sandwich an. Schließlich erhebe ich mich langsam und umständlich.
    Skeptisch stelle ich fest, dass ich mich wohl noch im ›Poison Apple‹ befinde. Dieses versiffte Stück von einer Absteige ist leer, bis auf die vollen Aschenbecher und ein paar zertretene Dartpfeile. Wäre ich ein Zyniker, hätte ich wohl irre aufgelacht. Stattdessen stemme ich mich auf die Knie und taste mich vorsichtig zum Ausgang.
    Um diese Zeit ist selbst in Edinburgh nichts mehr los auf den Straßen. Ich gelange also unbehelligt zu Millers
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