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Kaltgeschminkt (German Edition)

Kaltgeschminkt (German Edition)

Titel: Kaltgeschminkt (German Edition)
Autoren: Rona Walter
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warte ich.
    Nach einiger Zeit höre ich jemanden schnauben. Dann greift man mir unter das Kinn und hebt mein Gesicht an. Ein Moment lauernder Stille folgt. Dann höre ich eine tiefe, sonore Stimme, die mit mir spricht.
    »Wie schade, dass wir keine Alternative finden. Er ist meilenweit entfernt von Mustergültigkeit.«
    Ich spare mir jeglichen Protest. Damit kann man mich längst nicht mehr verletzen.
    »Das ist auch unwichtig. Er ist der Zweitbeste. Ein würdiger Nachfolger für unsere Zwecke. Der Beste ist ja leider nicht mehr verfügbar«, kichert eine helle, liebliche Frauenstimme.
    »Miller wäre ohnehin früher als später gestorben. Da-her…«, meint die wohlklingende junge Stimme eines Mannes.
    Der erste Sprecher lässt mein Kinn los, hebt meinen Oberkörper an und stützt ihn, bis ich mein Gleichgewicht wiedergefunden habe.
    »Frag ihn schon«, drängt die junge Stimme. »Es wird allmählich Zeit. Ich dulde nicht, dass weiterhin Schindluder getrieben wird mit unseren rechtmäßigen –«
    »Genug jetzt!«, donnert die erste Stimme und ich senke hektisch den Kopf.
    Ich vernehme ein Rascheln wie von metallenen Schwingen – gestörter Vergleich, aber anders kann ich es nicht beschreiben.
    »Und ich dulde deine Ungeduld nicht. Er ist zwar keine Augenweide …«
    »Nun, das finde ich schon. Du könntest ihn auch zuerst fragen, nur so - pro forma«, schnurrt die Frauenstimme.
    Eine leichte Welle des Stolzes füllt mein verkümmertes Herz. Wieder greift jemand nach meinem Gesicht. Eine feste, warme, große Hand. Nun könnte ich auch fragen, mit wem zur Hölle ich es zu tun habe. Seltsamerweise bin ich nicht im Entferntesten neugierig. Manchmal fürchte ich mich doch ein wenig vor mir selbst.
    Die dunkle Stimme setzt erneut zu sprechen an: »Mein bedauernswerter Freund, möchtest du zurück in dein erbärmliches Heim, zu deinen tatkräftigen Freunden, um in unserem Auftrag zu arbeiten und wohlhabend und angesehen zu werden?«
    Was für eine Frage!
    Ungeachtet des letzten Teiles schüttle ich so ekstatisch den Kopf, dass ich erneut beinahe stürze. Zur Hölle mit Geld und Ruhm! Warum, um alles in der Welt, sollte ich wohl sonst einen ausgeklügelten Schlachtplan gegen mich selbst ausgesponnen haben! Wer oder was auch immer sie sind, Sherlock Holmes scheinen sie allemal zu sein.
    »Nein? Nein? Dann wirst du sicher dankbar sein, wenn wir dir zeigen, wohin dein Weg dich unverzüglich führen wird.«
    Er legt die Hände auf meine gemarterten Augen und ein grelles Licht schießt durch mich, wie ein Laserschwert. (Natürlich weiß ich nicht , wie sich ein Laser in meinem Gesicht anfühlen würde! Meine Güte!)
    Wegen meiner verlorenen Stimme kann ich nur entsetzt krächzen, als sich vor meinem inneren Auge eine Landschaft aus düsteren, schiefen Häusern und Gassengabelungen aufklappt, wie eine Leporellokarte. Morbide Gestalten nicken mir zu; ich bin gerade eine von ihnen.
    Ich bekomme einen Topf gereicht, in dem sich Kugeln befinden. Kleine Glaskugeln. Und ich erkenne sofort: jede birgt eines meiner sündigen Erlebnisse – und deren Folgen. Ich nehme eine in die Hand. Hierin sehe ich die harten Schläge meines Vaters, nachdem ich Wasserbomben in die Bäume über picknickende Senioren geworfen hatte. Mir ist nicht mehr zum Lachen zumute. Ich lege sie beiseite, nehme die Nächste … und erlebe erneut, wie ich vom Zuhälter der geprellten Nutte durch die halbe Stadt gejagt und am abrupten Ende einer Sackgasse in die Weichteile getreten werde. Ich muss zusehen, wie mich der betagte Ehemann der bestohlenen Adelsfrau nachts von Psychopaten heimsuchen lässt, höre das Brechen meines Schlüsselbeines und diverser anderer Dinge erneut. Wie ich von Hunger gepeinigt Klage über ausstehendes Gehalt bei Mr. Miller vorbringe und dafür eine Ohrfeige kassiere, dass ich das Klingeln erneut in meinen Ohren höre. Und immer weiter.
    Eine der Kugeln ist größer als die anderen und ich schüttele den Kübel, bis sie obenauf liegt. In ihr sehe ich eine Sünde, die nicht von mir sein kann. Ich erlebe eine nicht enden wollende Marter von lebensbedrohendem Hunger und ewigen, wiederkehrenden Tagen der Unwissenheit, was ich hier soll, wo ich bin und wo bei allen guten Geistern mein Körper ist! Denn da sitzt eine Frau. Eine verdreckte, panische Frau ohne Alter, die schutzlos einer Meute mordlüsterner Männer ausgeliefert ist. Ich weiß genau, dass ich sie bin! - denn sie hat meine Augen in einem fremden, fahlen Gesicht. Die geifernden,
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